Astrologie Heute Nr. 145 (Juni 2010)
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Astrologie Heute Nr. 145
Juni 2010

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Die erste «Mind & Life Konferenz» in Zürich
 
von Alexandra Klinghammer

Schon seit vielen Jahren interessiert sich der Dalai Lama für die Wissenschaften. Näherte er sich diesen zunächst – wie er in seiner kürzlich erschienenen Spirituellen Autobiographie erzählt – mit einer unersättlichen Neugier eines in Tibet aufgewachsenen Jungen, geht es ihm heute vor allem darum, zu ergründen, welche nützlichen Erkenntnisse die moderne Wissenschaft über den Menschen zutage fördern kann. Sein Interesse sowie seine Überzeugung, dass eine enge Zusammenarbeit zwischen Buddhismus und Wissenschaft helfen kann, den Menschen in seiner Komplexität besser zu verstehen, hat seit mehreren Jahren zu einem regen interdisziplinären Austausch zwischen dem tibetischen Oberhaupt und bekannten Wissenschaftlern geführt. So finden seit 1987 regelmässig Tagungen statt, die unter dem Namen Mind & Life Konferenz bekannt geworden sind. Organisiert werden diese vom gleichnamigen Institut. Während die Konferenzen in den ersten Jahren vorwiegend in der Residenz des Dalai Lama in Dharamsala in Indien abgehalten wurden, finden sie seit 2003 vor allem in den USA statt und sind auch einem öffentlichen Publikum zugänglich.
 
Zwischen dem 9. und 11. April 2010 fand nun in Zürich die erste Mind & Life Konferenz in Europa statt. Anlässlich der jüngsten Finanzkrise stand diese unter dem Motto «Altruismus und Mitgefühl in Wirtschaftssystemen: Ein Dialog an der Schnittstelle der Wirtschaftswissenschaften, Neurowissenschaften und Kontemplativwissenschaft». In Kooperation mit der Universität Zürich lud das Mind & Life-Institut bekannte Neurowissenschaftler, Psychologen, Anthropologen, Ökonomen und Wirtschaftsrepräsentanten zusammen mit Kontemplativen zur Diskussion ins Zürcher Kongresshaus ein. Während der drei Kongresstage diskutierten die Experten in mehreren Panelgesprächen mit jeweils vier bis sechs Teilnehmern über die Etablierung einer neuen Ethik in der Wirtschaft. Angesichts der gesellschaftlichen Empörung über die jüngsten Finanz- und Wirtschaftsskandale sollten Wege und Möglichkeiten eines kooperativen und prosozialen Verhaltens in der Ökonomie vorgestellt und erörtert werden.
 
Man durfte also gespannt sein, was die Ökonomen, die zum ersten Mal an der Tagung teilnahmen, aus Forschung und Praxis zu berichten hatten. Für William George von der Harvard Business School (USA) sind die ersten Anzeichen eines Wandels bereits erkennbar. So wachse, wie er betont, eine neue Generation heran, die sich weniger an der Vermehrung des Materiellen denn an der Pflege immaterieller Werte orientiere. Dabei ginge es in Zukunft im Wesentlichen darum, eine neue Art des Führens zu entwickeln, die sich mehr an einer Haltung des Dienens ausrichte. Allerdings vollziehe sich eine solche Veränderung nicht von heute auf morgen.
 
Dies gab auch der Dalai Lama zu bedenken. Leader würden nicht als Leader geboren, sondern entwickelten sich nach den Massstäben und Werten einer Gesellschaft. Möchte man eine Gesellschaft kreieren, in der Mitgefühl und Altruismus herrschen, müsse man diese Werte schon früh, nämlich bereits in der Erziehung, fördern. Erst als Folge dieser Prägungen könne, quasi als Frucht, eine neue Art des Leaderships erwachsen, erklärte das im Exil lebende geistige tibetische Oberhaupt.
 
Ob sich Altruismus in der Erziehung wirklich gezielt fördern lässt, ist für den bekannten Ökonomen Ernst Fehr – der als ein aussichtsreicher Anwärter auf einen der nächsten Wirtschaftsnobelpreise gilt – durchaus denkbar, jedoch noch ungeklärt. Zusammen mit der Hirnforscherin Tania Singer experimentiert der Wissenschaftler in Zürich auf dem jungen Wissenschaftszweig der Neuroökonomie, wobei sie versuchen, Erkenntnisse aus der Hirnforschung für die Wirtschaft nutzbar zu machen. Fehr erforscht, wie Fairness und Kooperation wirtschaftliche Entscheidungsprozesse bei Menschen beeinflussen. Er konnte nachweisen, dass das traditionelle Bild des «Homo oeconomicus», nach dem der Mensch stets nach seinem Vorteil handelt, in seiner Ausschliesslichkeit nicht haltbar ist. Soziale Präferenzen spielen im Gegenteil im Wirtschaftsleben eine wichtige Rolle. So können sich unsere Handlungen sehr wohl am Wohlergehen anderer, auch Fremder, orientieren. Allerdings ist Altruismus häufig an Bedingungen geknüpft. Je stärker wir daran glauben, dass sich auch unsere Mitmenschen altruistisch verhalten, desto eher zeigen wir selbst dieses Verhalten, so Fehr.
 
Wir Menschen mögen eigentlich ein solches Verhalten, ja eine mitfühlende Haltung tut uns selbst sogar ausgesprochen gut, wie die Neurowissenschaftlerin Tania Singer in Experimenten zeigen konnte. Denn wenn wir kooperieren, erzeugt dies nachweislich die gleichen Gefühle in uns, wie wenn wir Schokolade vernaschen. In beiden Fällen werden dieselben «Belohnungsareale» im Gehirn aktiviert. Aufgrund dieser Erkenntnisse versucht Singer mittels eines Empathietrainings, Menschen zu mehr Mitgefühl zu motivieren. Das Ergebnis: Sogar Egoisten sind nach dem Training fähiger zu kooperieren und ihren Mitmenschen mehr Vertrauen entgegenzubringen. Mitgefühl lässt sich nach Singer also trainieren. In die gleiche Richtung weisen auch neurowissenschaftliche Forschungen mit buddhistischen Mönchen, die ja als eigentliche Mitgefühl-Experten gelten und diesen Zustand im Labor auf Knopfdruck herstellen können.
 
Ein Beispiel, wie eine faire und solidarische Art des Wirtschaftens konkret aussehen kann, zeigt die Arbeit der Vermögensverwalterin Antoinette Hunziker-Ebneter. Die ehemalige operative Leiterin der Schweizer Börse ist heute CEO der Vermögensmanagementgesellschaft Forma Futura Invest AG. Die von ihr 2006 mitbegründete Gesellschaft investiert in Unternehmen, die Wert auf soziale und ökologische Verantwortung legen. Konkret heisst das: Das der Gesellschaft anvertraute Kapital wird so angelegt, dass es eine nachhaltige Lebensqualität fördert und adäquate Renditen erwirtschaftet. Laut Hunziker-Ebneter erfüllen heute in Europa drei Prozent, in den USA bereits zehn Prozent der Unternehmen nachhaltige Qualitätsanforderungen.
 
Besonders bewegte das Publikum der Konferenz der Inder Sanjit Bunker Roy, der mit seinem 1972 gegründeten Barefoot College ein erfolgreiches soziales Engagement für die Ärmsten der Armen schuf. Das stark an die Lehre Gandhis und dessen Vertrauen in die praktische Intelligenz der Ungebildeten angelehnte College unterstützt und motiviert die ländliche Bevölkerung in vielen indischen Bundesstaaten und mehreren afrikanischen Ländern für eine Hilfe zur Selbsthilfe. Es unterweist Frauen und Männer in verschiedenen Fertigkeiten, die normalerweise nur einer Bildungselite vorbehalten sind. Einfache Landfrauen werden auf diese Weise zu Zahnärztinnen oder Ingenieurinnen ausgebildet.
 
Besonders stolz ist man darauf, dass das Entwicklungszentrum ausschliesslich mit Solarstrom versorgt wird. Denn ein wesentlicher Schritt vieler armer Gebiete auf der Welt in die Selbständigkeit und Selbstversorgung vollzieht sich besonders über die Unabhängigkeit von den öffentlichen Stromnetzen, die häufig instabil sind. Aus diesem Grund bildet das College sogenannte «Barfuss-Solaringenieurinnen» aus, die in ihren Dörfern die Energieversorgung sicherstellen und damit zugleich ihre soziale Stellung als Frau markant verbessern. Das Projekt strahlt bereits bis nach Afghanistan aus, wo die ersten Frauen in dieser Technik geschult wurden. Für sein gelungenes Beispiel einer integrierten sozialen und ökologischen Entwicklungshilfe erhielt der Initiator vom begeisterten Publikum stehende Ovationen.

Literaturtipps zum Thema

  • Dalai Lama: Meine spirituelle Autobiographie, Diogenes, CH-Zürich 2010
  • Wolf Singer, Matthieu Ricard: Hirnforschung und Meditation. Ein Dialog, Edition Unseld, Suhrkamp, D-Frankfurt am Main 2008
 

Alexandra Klinghammer, abgeschlossenes Studium der Psychologie an der Universität D-Köln; Astrologin; Geschäftsleiterin der Astrodata AG; seit 1996 ständige Mitarbeiterin von ASTROLOGIE HEUTE; Bücher: «Die Lilith-Fibel. Der Schwarze Mond im Horoskop» (2008, mit Claude Weiss); «Wendezeit 2010–2012. Krisen und Chancen aus astrologischer Sicht» (2009, mit Claude Weiss)