Astrologie Heute Nr. 180 (April 2016)
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Astrologie Heute Nr. 180
April 2016

Inhaltsverzeichnis
Heft Nr. 180 bestellen

 

Astro-logische Merk-Würdigkeiten
 

Eigentlich wollte ich …
 
von Barbara Egert
 


 

Es gibt Momente, da überwindet selbst der grösste Zauderer seine Handlungsschwäche, wächst über jede Hemmung hinaus, greift zum Telefon, wählt unsere Nummer und … legt wieder auf. Noch ist er nicht so weit. Doch der Tag wird kommen, die Umstände werden günstig sein, er wird es schaffen, und dann – nach einem zögerlichen «Ich bin’s», kann man ganz sicher sein, dass der nächste Satz mit einem «Eigentlich …» beginnt und fortgesetzt wird mit der unvermeidlichen Standardformel «… wollte ich dich schon seit Langem anrufen.»

Jetzt nur keine Vorwürfe! Das würde ihn irritieren. Aufmerksam lausche man seiner Litanei, die – zugegeben – sehr fantasievoll ist in der Aufzählung all dessen, was – leider, leider – diesen Anruf verhinderte. Nicht immer ist es der Verlust aller Kontakte beim unglücklichen Sturz des Handys in die Badewanne. Am besten, man nimmt alles für bare Münze und klinkt sich nach einer Weile wieder ins Gespräch mit einem «Aber jetzt geht es wieder besser?». Das passt meistens und signalisiert, dass man ihm immer noch gewogen ist. Was will man mehr, war nicht alles spannend wie in Tausendundeine Nacht? Seien sie nett zu ihm, immerhin hat er sich ja nun endlich überwunden. Er kann gar nicht anders, der Arme, an all dem ist nur sein Neptun schuld.

Man begreift sein «Eigentlich», wenn man versteht, dass er sich in einem Konflikt befindet. Sein Neptun träumt von einem spontanen Anruf, sogar von einem Wiedersehen, doch kaum greift sein Mars zum Handy, um diesen Traum Wirklichkeit werden zu lassen, hemmt Neptun ihn gewaltig, vertröstet auf morgen, übermorgen, auf eine Zeitlosigkeit nicht weit von der Ewigkeit entfernt. Neptun liebt das Unbestimmte zu sehr, um sich festzulegen, und schwirrt lieber ab in nebulöse Tiefen, weit genug weg jedenfalls, um die Stimme seines Mars nicht mehr hören zu müssen.

Neptun und Mars, das ist immer auch ein konträrer Umgang mit der Zeit. Mars springt problemlos zwischen Gegenwart und Zukunft hin und her. Neptun dagegen schwelgt sehnsuchtsvoll im Vergangenen, kultiviert absonderliche Nostalgien. Bloss weg aus der freudlosen Gegenwart in ein «Weisst du noch, damals …?» Oder ab in eine Zukunft, die so weit entfernt ist, dass keiner ihm folgen kann. Er liebt die «vollendete Zukunft», das zweite Futur. Was bei Mars noch ganz einfach «Ich baue ein Haus» heisst, wird bei ihm zu der Zukunftsvision «Ich werde ein Haus gebaut haben», natürlich ohne genaue Zeitangabe, irgendwann in ferner Zeit, wenn, ja wenn … Wenn gewisse Bedingungen erfüllt sind. Eine Untersuchung der Häufigkeit des Gebrauchs von Konditionalsätzen bei Neptun und Mars brächte es auf den Punkt: Mars bezweifelt, dass etwas überhaupt konditional sein kann. Entweder man handelt oder nicht. Neptun schwelgt im Konditionalen: Wenn die Umstände es erlaubt hätten, wäre ich längst mal vorbeigekommen. Wer’s glaubt, wird selig.

Neptun ist nicht der Einzige mit einem «Eigentlich»-Problem. Jupiter in Stier hat es auch. Wenn der so viel nascht, hat er bald ein Gewichtsproblem. Eigentlich sollte er seinen Kalorienverbrauch berechnen, eigentlich seiner inneren Stimme lauschen, aber die klingt eher wie das Grummeln eines hungrigen Magens. Wenn Uranus sich übernimmt und Ferien machen muss, erfreut ihn die Abwechslung des Hinflugs. Doch nach einem Sauseschritt durch die Sehenswürdigkeiten möchte er nur noch zurück. Eigentlich gibt es Wichtigeres zu tun und Interessanteres, und wer rastet, der rostet – also bloss weg hier! Pluto ist der Radikalste: ein «Eigentlich» gibt es nicht, nur ein «Ganz oder gar nicht»!

Für Merkur ist «eigentlich» ein rhetorisches Stilmittel: «Eigentlich bin ich gegen das Freihandelsabkommen, aber gewisse Umstände sprechen dafür. Es würde zu weit führen, wenn …» Saturn, das ist Echtheit, Authentizität, «mit sich selbst identisch sein». Er kann sich gar nicht vorstellen, «eigentlich» ein anderer zu sein als er ist, sich gar eines «Jargons der Eigentlichkeit» zu bedienen. Ganz anders Venus und ihr Spiel mit den Identitäten: sie, die statt des Eigentlichen das Eigentümliche, Einmalige, Besondere liebt und im Verbund mit Neptun auf den wartet, wie er eigentlich zu ihr passt und den sie sich eigentlich schon immer ersehnt hat. Das Seltsame an der Liebe ist ja, dass sie sich niemals gleich bleibt, und keiner weiss, was sie denn eigentlich ist.
 


Barbara Egert, geprüfte Astrologin DAV, jahrzehntelange Astrologieerfahrung, lebt und arbeitet in Berlin; Bücher: «Hochsensibilität im Horoskop» (2012), «Krisen im Horoskop erkennen» (2011), «Kindheitserfahrungen im Horoskop» (2009), «Wenn die Kindheit Schatten wirft. Beziehungen. Hochsensibilität. Narzissmus» (2014); ständige Mitarbeiterin von ASTROLOGIE HEUTE, E-Mail: Barbara Egert