Astrologie Heute Nr. 183 (Oktober 2016) - Bücherschau
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Astrologie Heute Nr. 183
Oktober 2016

Inhaltsverzeichnis
Heft Nr. 183 bestellen

 


B Ü C H E R S C H A U

 
 

Ein genialer Umweg
 
Maria Luise Mathis
Hoppla Zwillinge – Zwillinge, Drillinge, Vierlinge und mehr – Horoskop-Interpretation von Mehrlingsgeburten

Pb., 112 S., € 19,90 / sFr. 27.80 fPr
BoD, Books on Demand, D-Norderstedt 2016

     

Ein Zwilling kommt selten allein, heisst es in dem alten Kalauer. Aber in aller Regel mit nur einem einzigen ernst zu nehmenden Horoskop, fügt der meist etwas gallig blickende Astrologe hinzu. Genau das ist das astrologische Problem: Zwillinge, im Abstand von oft weniger als zehn Minuten zur Welt gekommen, zeigen zwei in technischer Hinsicht nahezu identische Horoskope und weisen doch grosse Charakterunterschiede auf. Was tun?

Maria Luise Mathis, eine der Fleissigsten und Erfolgreichsten in der österreichischen Astro-Zunft, seit langen Jahren Vorsitzende des Österreichischen Astrologenverbandes (OEAV), schlägt in ihrem Buch Hoppla Zwillinge einen genialen Umweg vor: Von den beiden nahezu identischen Horoskopen wird ein Combin abgeleitet. Das Combin ist der Form nach dasjenige Horoskop, das aus der räumlichen und zeitlichen Mitte zwischen den beiden Ausgangshoroskopen resultiert. Technisch ist auch das Combin nicht weit entfernt von den ursprünglichen Horoskopen. Aber das Combin kennt einige Regeln, die sich gerade auf die Deutung dessen beziehen, worin sich der eine vom anderen Combin-Partner unterscheidet. Die Hauptregeln in dieser Hinsicht lauten:

•    Aszendent und Herr des ersten Hauses werden dem älteren, Deszendent und Herr des siebten Hauses werden dem jüngeren Combin-Partner zugeordnet.

•    Ebenso steht die Sonne mit ihren Konstellationen für den älteren, der Mond mit seinen Konstellationen für den jüngeren Partner.

•    Es kommt manchmal zu Widersprüchen, beispielsweise wenn Sonne in sieben steht bzw. herrscht; dann muss der Astrologe intuitiv abwägen.

Die Beispiele, die Maria Luise Mathis anführt, sind überzeugend. Die Methode funktioniert. Und Erweiterung zum Multicombin für Mehrlingsgeburten ist ohne Weiteres möglich.

–Christoph Schubert-Weller




Erstaunlicher Roman
 
Eleanor Catton

Die Gestirne

Roman, aus dem Englischen von Melanie Walz

1038 S., geb., € 24,99 / sFr. 33.90 fPr
btb Verlag, D-München 2015

 

Der voluminöse Roman Die Gestirne der erst 31 Jahre jungen Autorin – 2013 unter dem Titel «The Luminaries» in London erschienen und mit dem Booker-Preis ausgezeichnet – ist Geschichts-, Gesellschafts-, Kriminal- und Liebesroman in einem – und obendrein ein astrologischer Roman, denn jedem seiner zwölf Teile ist ein Horoskop desjenigen Tages vorangestellt, von dem gerade erzählt wird.

Die Handlung spielt Mitte des 19. Jahrhunderts zur Zeit des neuseeländischen Goldrausches. Schauplatz ist die neu gegründete Goldgräbersiedlung Hokitika an der Westküste der Südinsel, in der sich ein Panoptikum von menschlichen Existenzen versammelt hat: europäische Auswanderer aller Art, Goldsucher und Seeleute, Hoteliers, Zeitungsmacher, Handelsagenten, Gerichtsschreiber und viele mehr, dazu Lohnarbeiter aus China und ein Jadesucher vom Stamm der Maori.

Ein ehemaliger Goldgräber wird tot in seiner Hütte aufgefunden. Zur selben Zeit verschwindet der Besitzer einer ertragreichen Goldmine, und man entdeckt eine bis zur Bewusstlosigkeit mit Opium vollgepumpte Prostituierte, die sich nach dem Aufwachen an nichts mehr erinnern kann. Wie diese Ereignisse zusammenhängen, ist das Rätsel, das die Erzählung vorantreibt.

Unendlich langsam wird die Wahrheit enthüllt. Für jede der an der Handlung beteiligten Figuren sieht sie anders aus, denn jede von ihnen trägt eine eigene astrologische Signatur. Der heimlich mit Opium handelnde Apotheker etwa ist dem Tierkreiszeichen Skorpion und dem achten Haus zugeordnet, der kriminelle Kapitän eines Goldgräberschiffs wird durch den Planeten Mars, seine Geliebte, die ein Freudenhaus führt, durch Venus repräsentiert, und so fort. Untereinander stehen die Figuren in vielfältigen, teilweise bis weit in die Vergangenheit zurückreichenden Beziehungen.

Zyklisch wie die Bahnen, die Sonne, Mond und Planeten umeinander ziehen, verläuft die zunächst langsam, dann immer schneller erzählte Handlung, die ab der Romanmitte zeitlich zurückspringt und zuletzt, fast einen Kreis schliessend, kurz vor ihrem Beginn endet. Immer wieder wird das Geschehen aus einer anderen Perspektive erzählt und erscheint deshalb immer wieder in einem neuen Licht, genauso, wie sich die Konstellationen der Planeten in den zwölf Horoskopen unaufhörlich verändern.

Historisch, astrologisch und/ oder erzähltheoretisch interessierten Leserinnen und Leser dürfte Cattons erstaunlicher Roman besonders gefallen.

–Claudia Albes



Abendländische Astrologie
 
Andreas Lerch

Scientia astrologiae – Der Diskurs über die Wissenschaftlichkeit der Astrologie und die lateinischen Lehrbücher 1470–1610

Hc, 321 S., € 29,00 / sFr. 31,50 fPr
Akademische Verlagsanstalt AVA, D-Leipzig 2015

 

Vor seinem Ende glüht ein Stern strahlend in einer Nova auf: Vor ihrem wissenschaftlichen Aus im 17. bzw. 18. Jahrhundert erlebte die Astrologie in der frühen Neuzeit eine Hochblüte in Europa. Die Astrologie war als Einzelwissenschaft ohne weiteres im akademischen Bereich verankert. Sie wurde angewandt – und zugleich leidenschaftlich diskutiert.

Andreas Lerchs hochverdienstvolle Darstellung Scientia astrologiae zeichnet anhand der antiken und zeitgenössischen astrologischen Standardwerke ein detailliertes Bild der praktischen abendländischen Astrologie der Neuzeit. Zudem stellt sie die zeitgenössische wissenschaftliche Diskussion zwischen der akademischen Astrologie und ihren Kritikern bzw. Gegnern vor. Was beim Lesen angenehm auffällt: Damals haben die Leute einander noch zugehört.

Und was man alles dabei lernen kann! Spannend ist beispielsweise die feine Unterscheidung zwischen der „Astronomia demonstrativa“ und der „Astrologia iudicialis“. Die „demonstrative Astronomie“ ist zunächst der mathematisch-himmelsmechanische Part der Astronomie; sie ordnet dann aber auch beobachtete Fakten und zeitgleiche Konstellationen zueinander. Das wäre in unserem modernen Verständnis bereits ein Teil der metagnostischen astrologischen Deutungskunde. Was ist beobachtbar? Welche Schlüsse können aus den Beobachtungen gezogen werden? Die „demonstrative Astrologie“ wird erst dann zur „Astrologia iudicialis“, zur vorhersagenden Astrologie, wenn der empirische Faktenbestand der demonstrativen Astronomie genutzt wird, um eine Prognose zu treffen, wenn aus der Beobachtung und Zuordnung im Nachhinein Vermutung und Prognose im Vorhinein wird. Man ahnt, welche herausragende Rolle der Beobachtung in diesem Modell der Astrologie zukommt (S. 102 f.).

Wer in der frühen Neuzeit als Astrologe tätig war, musste – wollte er im akademischen Diskurs mithalten – breit gebildet sein. Naibod, ein Schüler Philipp Melanchthons, bekannt durch den nach ihm benannten „Naibod-Schlüssel“, diskutiert ein hochphilosophisches Problem mit sowohl praktischen als auch theologischen Konsequenzen: Gibt es notwendige Wirkungen der Sterne? – Naibods Antwort lautet: Nein, das kann es nicht geben. Nichts wäre dann frei; alles müsste sich nach einem festgelegten Plan bewegen. Und zugleich wäre Gott, der die Sterne geschaffen hat und ihren Lauf aufrecht erhält, Ursprung alles Bösen. Naibods Argumentation ist bemerkenswert: „Viele gute Männer fragen, wie es sein kann, dass Gott nicht die Ursache für die menschlichen Schandtaten ist, wenn lasterhafte Neigungen und Verbrechen von den Sternbildern hervorgerufen werden. Wenn nämlich Gott die Quelle der guten Dinge ist und er sehr gute Sterne gemacht hat und sie zu einer ewigen und in veränderlichen Wirkung der guten Dinge geordnet hat, wie kann es dann geschehen, dass vom Himmel die natürliche Ursache der üblen Neigungen herabsteigt? Ich dagegen glaube, wenn die Natur zu ein und derselben und unveränderlichen Art des Wirkens gebracht wird, dass in dieser Sache folgendes gefragt werden muss: auf welche Weise kann es nämlich geschehen, dass ein und derselbe Wein eine gleichartige Substanz und Qualität in ein und derselben Zeit aufweist, aber dennoch gewissermaßen, wenn er in maßlosen Mengen von einigen getrunken wird, in manchen Fröhlichkeit und Heiterkeit, in anderen Kummer und Trübsal, in anderen Wut und den Wunsch zum Streiten und Kämpfen, in anderen schließlich Faulheit und unergründliche Träume hervorruft? Hierauf meine ich, werde ich diesen sogleich antworten, dass die Ursache der so geschaffenen unterschiedlichen Wirkungen nicht in der treibenden Kraft des Weines, sondern lediglich in den betrunkenem Subjekten gesucht werden muss.“ (S. 139 f.)

Ein Hauptargument der Gegner bezieht sich auf die Ereignisvorhersage. Die eigentliche prognostische Astrologie ist hier im Visier der Gegner; aber auch das Zwillingsproblem spielt eine wichtige Rolle: dass Zwillinge mit (nahezu) identischen Horoskopen dennoch ganz unterschiedliche Charaktere und Lebensläufe aufweisen. Aber schon die antike Astrologie hat nie den Anspruch gestellt, sozusagen „Ingenieurswissenschaft“ zu sein. Heute würde man sagen, dass es sich bei der Astrologie um ein Bilderwissen handelt, das durchaus unterschiedliche, wenn auch nicht beliebige Perspektiven und Deutungen zulässt. Und vielleicht würde der eine oder andere kritische Kopf die Frage nach der identischen genetischen Ausstattung eineiiger Zwillinge angesichts ihrer oft so unterschiedlichen Lebensläufe stellen.

Lerchs Arbeit ist ein Stück akademischer Wissenschaftsgeschichte. Diese Geschichte darf aber auch Astrologen beschäftigen: Der heutige Astrologe, der naiv-selbstverständlich „die“ klassische oder traditionelle Astrologie anwendet, erhält hier einen Überblick über Begriffe und Lehrmeinungen der damaligen Astrologie, vor allem aber den Überblick über kritische Rückfragen an die Astrologie (und die Antworten der Astrologen).

Das ist auch für heutige, manchmal mühselige Diskurse spannend und aktuell. Schon deshalb sollte diese Arbeit unter Astrologen der Gegenwart (und deren Kritikern) intensiv zur Kenntnis genommen werden, und wäre es nur als reiche Schatzkammer von Argumenten für und gegen Astrologie.

–Christoph Schubert-Weller