Astrologie Heute Nr. 205 (Juni 2020) - Editorial
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Astrologie Heute Nr. 205
Juni 2020

Inhaltsverzeichnis
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 E  D  I  T  O  R  I  A  L 
 

Saturn und Pluto haben ihre Muskeln spielen lassen und die Welt umgekrempelt. Oh, sie sieht immer noch gleich aus, Mutter Erde, von Weitem eigentlich ganz friedlich, der blaue Planet. Er dreht sich weiterhin tagtäglich unbeirrt um sich selbst und schwebt etwas gemächlicher um ein fernes, grelles Gestirn. Doch in den Köpfen der Menschen, in ihrem täglichen Dasein ist vieles anders geworden, herrscht vielerorten ein Drunter und Drüber. Ein stiller Sturm ist über die Lande gezogen. Fast unmerklich ist er über uns gekommen, plötzlich war er da und hat rasend schnell Liebgewordenes verwüstet. Wie aus dem Nichts. Niemand konnte ihm ganz entkommen. [S. 8 ff.] Verwundert reiben wir uns die Augen. Sind das nur ein paar Wochen, seit wir uns friedlich zuprosteten in geselliger Runde? Als wir Zuneigung übten mit einer spontanen Berührung? Als wir uns unschuldig die Hände reichten und auf die Schultern klopften? Als wir lauthals den Tag bejubelten von Angesicht zu Angesicht?

Pluto ist der Vernichter. Zornig kann er werden. Er will nicht, dass wir uns zu sicher fühlen. Viel Reichtum wurde entwertet, Leben wurde vernichtet, Verluste an Wohlstand mussten in Kauf genommen werden. [S. 60 ff.] Talente wurden überflüssig, Angebote nutzlos und Schmuckstücke unpassend. Nebensächlichkeiten dagegen rutschten in den Fokus. Pluto ist der mit der Maske: die Hadeskappe. Er kann sich unsichtbar machen und aus dem Nichts wirken. Er macht auch die vermeintlich Starken zu Dienern seines Willens. Die gerade noch ein Vermummungsverbot forderten und ein Verschleierungsgesetz einführten, riefen plötzlich nach einer Maskenpflicht für alle!

Saturn ist der Pflichtbewusste. Er ist aber auch der, der seine Kinder frisst, aus Angst, sie könnten mächtiger werden als er. Die Frucht von Fleiss, Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, Vorsicht, Sparsinn, Regeln, Gesetz und Ordnung kann also auch das Gegenteil des Beabsichtigten hervorbringen: Erstarrung, Not und Tod. Saturn ist der Grenzsetzer, er beharrt auf Abstand. Er will kühl bleiben und unberührt von den Leidenschaften der Gefühle. [S. 46 ff.] Er hält das für konstruktiv. Saturn hasst das Spontane. Also sperrt er die Menschen gerne mal ein und verschliesst die Häuser. Immer schön auf Abstand bleiben und bitte keine Berührungen! Ihr könnt euch ja von euren Balkonen aus zuwinken. Rührend, wie viele Menschen von dort oben ihre «Helden des Alltags» [S. 54 ff.] in der Ferne besangen. Sah alles so friedlich aus …

Doch es ist auch viel Streit entbrannt um Corona. Wut und Hass wurden ebenfalls gesichtet. Corona erinnert an eine antike Gottheit. Ist sie die neue Göttin des Zorns? Oder doch der Mahnung? Eine Göttin der tiefen Verunsicherung? Oder eine Göttin der erzwungenen Umkehr? Sie will uns was lehren, und wir fühlen uns bestraft. [S. 24 ff.] Aber ist das nicht immer so mit den Göttern? Dass sie den Finger auf die Wunden der Gesellschaft legen und es wehtut? [S. 14 ff.] Eine Göttin der Entschleunigung? Für eine kurze Zeit, als alle Welt zum Stillstand gekommen schien und alle sich darein ergaben, machte es den Anschein, als hätten die Menschen nur darauf gewartet, dass endlich etwas passiert, indem nichts mehr passiert. Gewartet auf einen Augenblick zum Luftholen und Nachdenken über den Sinn unserer nervösen Welt mit ihrer atemlosen Jagd. Als hätte jemand gerufen: «Vergiss nicht, Seele, dass du Flügel hast / dich über Erdenschranken frei zu schwingen / enteilend allem Kampfgeschrei und Ringen / des Tags und seiner beutegier’gen Hast!» (Marie Sauer).

Armando Bertozzi
Redaktor

 

Armando Bertozzi, von 1976 bis 1981 Kurse in Astrologie, Alchemie und Kabbala; 1980 bis 1988 Redaktor und Mitherausgeber von «Essentia – Zeitschrift für evolutionäre Ideen»; seit 1989 Chefredaktor von ASTROLOGIE HEUTE (E-Mail: Armando Bertozzi)