Astrologie Heute Nr. 116 (August 2005)
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Astrologie Heute Nr. 116
August 2005

Inhaltsverzeichnis
Heft Nr. 116 bestellen

EDITORIAL

 

Liebe Leserin, lieber Leser

Es war in den frühen Tagen, und wir suchten nach dem Stein der Weisen. Das Warum war unsere Frage nicht. Wir tappten blind und ungehorsam wie ein Kind. Zunächst nahmen wir Rosmarin und Kamille. Extrahieren, destillieren, ausprobieren. Kiloweise verkochten wir das Kraut und liessen den alchimistischen Sulphur, das ätherische Öl gerinnen. Gelb und Dunkelblau füllten das Glas. Schwer hing der Geruch an unseren Möbeln. Vorhänge hatten wir keine. Die kleinen Fensterscheiben unserer Wohnung im Erdgeschoss gaben den Blick frei auf ein pittoreskes Laboratorium voller Glaskolben, Gestänge, Gummischläuchen und bunten Tinkturen. Ein putziges Bild. Der Bunsenbrenner lief heiss, in den Flaschen blubberte es, der Duft des Arkanums stieg uns zu Kopfe. Putreszieren, separieren, kalzinieren. Den Rest der Pflanzen veraschten wir. Das Wesentliche kann nicht zerstört werden. Den Spiritus (Geist) zwangen wir in die Flasche. Verstrickt in die Leidenschaften der Jugend, fesselte uns ein gordischer Knoten. Die Messzylinder in der drolligen Hexenküche füllten sich immer mehr mit öliger Flüssigkeit. Löse und binde!, sagen die Alchemisten. Mazerieren, emulgieren, zirkulieren. Wir drehten uns im Kreise. Was wir lösen sollten, blieb uns ein Rätsel. Was wir binden wollten, schied.

Die Welt dreht sich und wir mit ihr. Doch während die grosse Kugel auf ihrer Bahn bleibt, zuverlässig um die Sonne kreist, wie der Mond um die Erde, während alles sich um alles dreht da draussen, dreht sich der Mensch immer mehr nur um sich selbst. Kein Wunder, ist Sturm in seinem Kopf. Wer Wind sät, wird Sturm ernten, sagt das böse Sprichwort. Die Attentäter von London und anderswo wollen auch, dass es sich um sie dreht. Bereits im ersten Heft dieses Jahres hat Claude Weiss auf die wachsende Gefahr von terroristischen Anschlägen mit dem Löwe-Ingress von Saturn und dessen Opposition zu Chiron aufmerksam gemacht. Nur kurz vorher – einen Tag nach dem Juli-Neumond – ist dies Tatsache geworden. In seinem Artikel zu diesen Ereignissen, den er am 11. Juli geschrieben hat, weist er auch auf den Vollmond vom 21. Juli und die gleichentags exakt werdende Saturn/Chiron-Opposition hin. Am 21. Juli werden in London erneut Attentate verübt, die nur durch fehlerhafte Sprengsätze nicht wieder in einem Blutbad enden, und zwei Tage später kosten die Bomben von Sharm al-Sheikh mindestens 88 Menschen das Leben.

Das Leben kosten. Walter Schels, Fotograf und Astrologe, hat dieses Wort in seiner doppelten Bedeutung festgehalten im Bild. Im Gespräch schildert er, wie sich Sterbende, die er in den letzten Wochen begleitet und vor und nach ihrem Tod fotografiert hat, noch einmal an den einfachen Dingen erfreuen, an einem kleinen Vogel zum Beispiel. Der Weg dorthin (Titelbild) ist nicht einfach und nie ein gerader. Die Bilder in den alten Alchemistenbüchern sind auch nicht einfach. Da wird der Mensch zerhackt, gekocht und lebendig begraben. Der Philosoph hockt derweil auf seinem Berg (Mons philosophorum) und guckt stoisch. Das Bild kann natürlich symbolisch verstanden werden, muss aber nicht. Dreht sich die Welt um ihn, dreht er noch mit, oder dreht er schon durch? Der Duft des Arkanums stieg ihm zu Kopfe. Vielleicht ist er das abschreckende Beispiel. Sieht verdammt einsam aus da oben auf seinem Mons. Reflektieren, sublimieren, konvergieren. Die Lösung des Rätsels ist vielleicht, das Rätsel zu binden, es zu bewahren. Und der Stein des Weisen ist vielleicht nur der Berg, auf dem dieser hockt. Guckt und fragt sich, wie er da wohl wieder runterkommt.

Armando Bertozzi
Redaktor