Astrologie Heute Nr. 141 (Oktober 2009)
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Astrologie Heute Nr. 141
Oktober 2009

Inhaltsverzeichnis
Heft Nr. 141 bestellen
Astro-logische Merk-Würdigkeiten
 
Ach, du liebe Jungfrau …!

 
von Barbara Egert
 

 
«Ich habe jetzt mein Testament gemacht», erzählt mir eine alte Bekannte (Jungfrau). Da sie erst 40 ist, amüsiere ich mich, weil ich annehme, es sei ein Scherz. Ich gebe zu bedenken, dass sie ja bis zu ihrem hoffentlich noch in weiter Ferne liegenden Ableben vielleicht total verschuldet sei. – Undenkbar! Denn Vorsorge ist alles und Sparsamkeit eine der vielen Jungfrau-Tugenden. Ausserdem: Die latent vorhandenen und immer wieder ausbrechenden hypochondrischen Anfälle sind auch so eine Art Absicherung.
 
Mein Jungfrau-Vater zum Beispiel gurgelte jeden Morgen mit Salzwasser, um Bakterien zu ertränken und damit zu vernichten, und betrachtete eingehend seine Zunge, die wohl so eine Art Massstab für sein Wohlergehen war. Als Direktor einer Krankenversicherung war das seine erste morgendliche Pflicht- und Vorsorgeübung. Einer seiner Söhne (Jungfrau-AC mit Zipperlein-Tendenz) ahmte ihn nach, wurde aber von seinen Geschwistern so veralbert, dass er sich wohl nur noch heimlich vor dem Spiegel seine Zunge herausstreckte.
 
Wo kommen die plötzlich alle her, die Jungfrauen? Real und aus der Erinnerung aufsteigend, schwirren sie in mir und um mich herum. Sie wollen mich doch nicht etwa auf noch zu integrierende Eigenschaften hinweisen? – Hilfe!
 
Thorsten, ein verloren geglaubter Freund meines Mannes, taucht nach 40 Jahren urplötzlich wieder auf. Ich kannte ihn nicht und kenne ihn doch. Er war bei astrologischen Laiengesprächen im Freundeskreis stets präsent und überaus beliebt, wenn es um den Prototyp der Jungfrau ging. Und heute? Es hat sich wenig geändert: Seine Schilderungen von Einkäufen, Konzertbesuchen, Reisen etc. enden immer – und das ist nicht übertrieben – mit den entsprechenden Preisen und bestenfalls, wie pfiffig er an die Schnäppchen kam. Die als Geschenk lange, lange gesuchte Vase hat zwar einen kleinen Sprung, aber – Achtung! – sie war um die Hälfte herabgesetzt, und das bei dieser Schönheit … er musste sie einfach kaufen. Auch die Schuhe bei Aldi, die eine gewisse Ähnlichkeit mit U-Booten haben, aber vielleicht 20 Jahre halten (mindestens, hofft er), erfreuen sein Gemüt. Einmal schoss er ein Eigentor, das er sich nie verzieh: Der früheste Flug in den Süden war der preiswerteste, den er natürlich buchte und sich über die Ersparnis von immerhin 20 Euro im Voraus schon die Hände rieb. Nun gab es aber zu dieser nachtschlafenden Zeit noch keine Verkehrsverbindung zum Flughafen, sodass er ein Taxi nehmen musste, das ihn dann 30 Euro kostete …
 
Auf eine gewisse Förmlichkeit kann unsere Jungfrau nicht so einfach verzichten, es sei denn, sie geht in ihr gegenüberliegendes Zeichen, um sich dort von den eigenen Anstrengungen zu erholen. Einmal einen gezwitschert, wird sie echt locker und entfaltet ungeahnte charmante Seiten. Erinnert sie einen nicht gar an den hochprozentigen Goethe?
 
Ich hatte einmal einen Jungfrau-Chef, der auch bei 38° seine Anzugjacke anbehielt; wie er das durchhielt, kann nur mit schrecklicher Angst vor einem Contenance-Chaos erklärt werden. Immer ordentlich, schön konservativ und gediegen, ein bisschen museal vielleicht. Ausserdem begrüsste er jeden seiner Mitarbeiter (und das waren etliche) jeden Morgen mit «Wie geht es Ihnen?». Fehlende verbale Lockerheit wird durch eingeübte formelle Rituale kompensiert. Klar, besonders, wenn Merkur auch noch in Jungfrau steht. Man stelle sich vor, all diese Angestellten hätten auf seine Frage etwas ausführlicher geantwortet – er wäre nie zum Arbeiten gekommen. Für eine Jungfrau ein Schreckensszenario!
 
Ach ja, und die Fürsorglichkeit der Jungfrauen: Bei kleineren Wehwehchen ging ich früher lieber zu meinem Vater, der mich sogleich ins Bett stecken wollte, damit der Kleinen nichts passierte. Dass seine Kleine etwas übertrieb, um der Schule und der Mathearbeit zu entkommen, ahnte er nicht (im Gegensatz zu meiner Mutter, aber die war eben keine Jungfrau). Ein früherer Kollege (auch Jungfrau) notierte jede Krankheit und jeden Arztbesuch in einem grossen Heft mit exakten Vermerken über die verordneten Medikamente. Die Beipackzettel wurden sorgfältig archiviert, um in Wiederholungsfällen parat zu sein. Jungfrauen sollten keine Beipackzettel lesen, denn das ängstigt sie zu Tode und macht ein Testament notwendig (siehe oben).
 
Über andere zu schmunzeln, ist ja so einfach, also muss man sich an die eigene Nase fassen: Ich habe die Venus in der Jungfrau. Bin ich in Beziehungen etwa eine Erbsenzählerin mit einer Kleinkrämerseele, spröde und distanziert, vielleicht sogar nörgelig und zu kritisch? – Ach, du liebe Jungfrau …!
 

 
Barbara Egert,
geprüfte Astrologin DAV; jahrzehntelange Astrologie-Erfahrung; astrologische Beratungen und Kurse in D-Berlin; diverse Fachpublikationen; ständige Mitarbeiterin von ASTROLOGIE HEUTE; Autorin von Galiastro-Texten; neues Buch: «Kindheitserfahrungen im Horoskop» (E-Mail: Barbara Egert)