Liebe Leserin, lieber Leser
Auf die ersten Augusttage sind die Astrologen besonders gespannt. Der Höhepunkt vom Höhepunkt. Was ist mit der Kardinalen Klimax, jener extraordinären Spannungsfigur zwischen Saturn, Pluto und Uranus im kardinalen Kreuz – angestachelt in diesen Tagen von Jupiter, Mars und Venus? Man wartet auf die ultimative Sensation, auf ein Fanal. Am besten etwas Umwälzendes, Erregendes, Atemberaubendes, das die Sinne entrückt und die Herzen zum Hüpfen bringt (bitte keine epochale Katastrophe, obschon wir ja fast so weit sind, dass diese allein wir noch als bedeutend denken). Doch erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt. Der Wunsch nach dem Ereignis, das «die Menschen» zur Umkehr zwingt, ist erstens ein infantiler und zweitens ein rückwärtsgewandter. Das Neue ist eben anders. Was im Entstehen ist, wird in seiner Gestalt erst mit der Zeit wahrnehmbar. Im Nachhinein sieht man klarer. Der neurotische Materialismus, dem wir im Westen wie im Osten anheimgefallen sind, steht als unüberwindbarer Drache zwischen unserem Wunsch nach Mass, Sinn, Freude und Gerechtigkeit und unserer Angst vor Verlust und Zerrüttung. Wir als jener Teil der Menschen, der alles hat und alles kann und alles will, vermögen in Wahrheit aber nur wenig. Zu gross ist unsere Welt geworden, so weit reichen unsere Arme nicht. Wir erfahren alles, und tun können wir nichts. Der Sachzwang hat uns im Griff, schon viel länger als Pluto in Steinbock steht. Das Wenige, was uns bleibt, sind wir selber (so wir uns denn haben). Doch mit dem, was wir als bedeutungsvoll erachten, sind wir überall anders als hier.
Im Kardinalen wird die neue Form geknetet, wird das Feuer entzündet, werden die Segel gesetzt. Etwas Neues inkarniert, ein Abenteuer startet. Die Mischung aus Erde, Feuer und Luft dieser Kardinalen Klimax hat etwas Explosives, Gewalttätiges, Drängendes. Doch das Ganze ist mehr als die Summe seiner Einzelteile. Noch erscheint dem gewieften Astrologen alles ein bisschen lahm, wie paralysiert. «Auf dem Gipfel ist Ruh’», könnte man in Ableitung eines Goethe-Wortes diesen Höhepunkt beschreiben. Die Ölpest scheint langsam gedämmt, die Finanzbosse machen ungerührt weiter, die Armen darben und wir sind die Klagenden, die eigentlich nichts zu klagen hätten. Diese astrologische Konstellation ist wie ein Puzzle, dessen Einzelteile richtig zusammengefügt erst ein Bildnis ergeben. Als kleinstes Teil dieses Puzzles sollen wir uns richtig fügen (nicht unterwerfen). Dafür müssen wir aber das Ganze sehen. Was wiederum schwierig scheint. Das ganze Bild ist in jedem Einzelteil, wie bei einem Hologramm. Die alten esoterischen Weisheiten geben hier Hinweis. Sie sind so geheim, dass sie nicht einmal versteckt zu werden brauchen, sie liegen offen auf jedem Tisch in der Welt. Allen sind sie zugänglich. Es scheinen ziemlich einfache Wahrheiten: Rücksicht, Bescheidenheit, Aufrichtigkeit usw. Wir scheuen sie wie der Teufel das Weihwasser, sie sind zu unmodern und zu unwichtig, ausserdem anstrengend. Ja, das lässt sich vermutlich ohne Weiteres sagen zu dieser Kardinalen Klimax: Im Tiefsten ist sie eine sehr anstrengende Gestirnsstellung. Vielleicht liegt es also doch an mir? – Nein, das wäre dann doch zu uncool.
Armando Bertozzi Redaktor
Armando Bertozzi, von 1975 bis 1982 Kurse in Astrologie, Alchemie und Kabbala; 1980 bis 1988 Redaktor und Mitherausgeber von Essentia, der Zeitschrift für evolutionäre Ideen; seit 1989 Chefredaktor von ASTROLOGIE HEUTE (E-Mail: Armando Bertozzi)
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