Astrologie Heute Nr. 151 (Juni 2011) - Editorial
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Astrologie Heute Nr. 151
Juni 2011

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Heft Nr. 151 bestellen

 E  D  I  T  O  R  I  A  L 

 

 

Armando Bertozzi
 
Liebe Leserin, lieber Leser
 
Der Mai rückte ein paar prominente Männer in die Schlagzeilen. Zum offensichtlich berüchtigten Schwerenöter Dominique Strauss-Kahn, der über seine heruntergelassene Hose stolperte, fällt mir allerdings nicht viel ein. Den Moralapostel will ich hier nicht spielen, die Type erscheint mir – nur über die Medien informiert – auch zu uninteressant-abominabel. Andere Männer: Barack Obama hat Osama Bin Laden zur Strecke gebracht. [S. 16f.] Nicht dass man nun glauben würde, die Welt sei dadurch friedlicher geworden, so erfüllt es doch unser aller (westliches) Gerechtigkeitsgefühl – oft von Hilflosigkeit gefesselt –, dass ein verblendeter Fanatiker und Schurke seine Richter gefunden hat. Für ihn der Märtyrertod, für die Hinterbliebenen seiner Opfer die gerechte Strafe. Krieg ohne Ansage, Strafe ohne Gericht.      
 
April und Anfang Mai 2011: Wochen wie für Krieger geschaffen, mit einer Ballung von sechs Planeten – inklusive Mars – im Kriegs-Zeichen Widder. Männer standen im Vordergrund. Bin Laden ist seit dem 11. September 2001 ein weltberühmter Kopf, er hat auch eine interessante Lebensgeschichte. [S. 18ff.] Seine fanatischen Überzeugungen sind aus schmerzlicher Erfahrung von Ungerechtigkeit und Hilflosigkeit erwachsen. Auf ein bequemes Leben im Bad der Vergnügungen verzichtete er – Geld genug hätte er gehabt –, um für seine Glaubensbrüder eine bessere Welt zu schaffen. Die Mittel, die er dazu benutzte: Terror, Massenmord, Krieg, sind abscheulich und nicht zu entschuldigen. Als Astrologen sollten wir aber vor der Schattenproblematik auch hier die Augen nicht verschliessen: Die Frage, warum Bin Laden zu seinen brutalen, in gewisser Weise hilflosen und verblendeten Taten (Mars in zwölf am absteigenden Mondknoten Quadrat Pluto) gekommen ist – für ihn ein gerechter Kampf (Mars Trigon Jupiter) –, hat sehr wohl mit uns zu tun. Wenn wir schon immer und laut «Gerechtigkeit!» rufen, sollten wir die Gründe, warum Al Kaida und andere Gruppen Terrorkrieg gegen den Westen führen, genau anschauen. Hier ist offensichtlich unser Gerechtigkeitsgefühl von unserem Luxusleben gefesselt, an das wir uns klammern (ich will ja auch nicht darauf verzichten, ich gebe es zu). Das vergessen wir allzu oft allzu leicht.
 
Der Verlust des Gedächtnisses wäre schlimm. Das muss jeder verstehen, der an ihm hängt. Wir lernen von klein auf, unsere Welt zu konstruieren; mit Hilfe des Denkens, das über Projektion funktioniert. Naturgemäss identifizieren wir uns mit diesem Konstrukt. Um dessen Richtigkeit zu bestätigen, bauen wir unseren Babylonischen Turm des materiellen Überflusses immer höher. Neptun lehrt uns anderes. Seine Botschaft spricht von innerem Reichtum. Chiron im engen Kontakt zu dem Planeten des passiven, unbewussten, intuitiven und gefühlsstarken Daseins weist uns als aktuelle Konstellation auf diese kulturelle Wunde hin – ein Schmerz, der uns die vernachlässigte Seite unseres Lebens vor Augen führt. Gunter Sachs hat vor dieser Diskrepanz kapituliert. [S. 12f.] Transit-Neptun und -Chiron in Fische standen in Opposition zu seinem Mars im Merkur-Zeichen Jungfrau. Das männliche Denken und Sich-Absichern versagte vor der Herausforderung, sein Ich – den persönlichen Babylonischen Turm – zu verlieren und in den grossen Schatten einzutauchen, der sich über ihn zu legen drohte. Ich kann ihn verstehen. Männer stehen (gerne) im Vordergrund, so haben sie es gelernt. Gegen die Ohnmacht und die Ohnmächtigen, das Unwägbare und die Stille wehren wir uns ja die ganze Zeit. Wenn das Innere plötzlich der babylonischen Sprachverwirrung anheimfällt und abgekapselt ist, was bleibt dann von uns übrig? Das Denken und die Sprache versagen hier. Neptun wüsste es vielleicht: passiv, unbewusst, intuitiv und gefühlsstark.
 
 
Armando Bertozzi
Redaktor

 


Armando Bertozzi, von 1976 bis 1981 Kurse in Astrologie, Alchemie und Kabbala; 1980 bis 1988 Redaktor und Mitherausgeber von Essentia, der Zeitschrift für evolutionäre Ideen; seit 1989 Chefredaktor von ASTROLOGIE HEUTE (E-Mail: Armando Bertozzi)