Astrologie Heute Nr. 163 (Juni 2013) - Editorial
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Astrologie Heute Nr. 163
Juni 2013

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 E  D  I  T  O  R  I  A  L  

 

 

Armando Bertozzi

«Des Menschen Seele / Gleicht dem Wasser: / Vom Himmel kommt es, / Zum Himmel steigt es, / Und wieder nieder / Zur Erde muss es. / Ewig wechselnd.» Goethes berühmtes Gedicht «Gesang der Geister über den Wassern» fängt das Geheimnis des menschlichen Werdens und Vergehens anhand der vielgestaltigen Erscheinungen des Naturelements Wasser ein. Dieses auf die Astrologie übertragene Prinzip steht in den nächsten Monaten im Fokus, bewegt sich doch der grösste Teil der Planeten durch Wasser-Zeichen [S. 5]. Und als Krönung bilden Jupiter, Saturn und Neptun Mitte Juli eine prägnante Figuration am Himmel: ein harmonisches Grosses Dreieck in den Zeichen Krebs, Skorpion und Fische. Wasser ist das astrologische Element der Gefühle und der Spiritualität [S. 44 ff.], der mystischen Einsichten und der grossen Visionen – des Seelischen schlechthin: «Seele des Menschen, / Wie gleichst du dem Wasser!», wie Goethe verzückt aufs Blatt schrieb. Inspiriert wurde er von einem hohen Wasserfall im Berner Oberland, der mit seinem gewaltigen Sturz, seiner neblig-aufsteigenden Gischt, seinen verstäubt-betörenden Nasswolken das magische Bild seines Gleichnisses im Dichter heraufbeschwor. Dessen Schau bejaht das Wandern der Seele durch alle kryptischen Sphären der Wahrnehmung.

Wasser ist die Quelle allen Lebens. Evolutionsbiologisch gesehen kommt der Mensch aus dem Wasser und besteht zu 80 Prozent daraus. Was wäre unser Leben ohne das flüssige Urelement? Eine dumme Frage! Vor allem aber ungeniessbar: Mein Kaffee ohne Wasser? – eine körnige Bitternis. Strandferien ohne Meeresgewoge? – eine triste Salzgrube. Die Schnulze ohne feuchte Augen? – kein Rührstück. Wasser besänftigt oder wirbelt auf. Und nicht zuletzt löscht es den Durst (nach Erfüllung). Das Mass ist voll: Wasser ist das letzte, das vollendende der vier Elemente im astrologischen Tierkreis. Auch mein eher phlegmatisches Temperament will nun zum Ende und ist bald erschöpft.

Doch noch dieses: Das Wasser-Element vermag ungeheure metaphorische Bilder zu evozieren. Ich denke jetzt nicht an das berühmt-berüchtigte «Sieben-Tage-Regenwetter-Gesicht», obwohl das derzeit so gar nicht metaphorisch angebracht wäre. Heute würde Richard Wagner 200 Jahre alt werden, wenn er denn so lange gelebt hätte, wie er selber es wohl passend gefunden haben mag. Bescheiden war der gernegrosse Tragiker ja nicht, in allen Belangen. In seinem wohl bedeutendsten Musikdrama «Tristan und Isolde» schliesst er nach viereinhalb Stunden Schwelgen mit den tränentreibenden Worten: «Ertrinken, versinken / unbewusst – höchste Lust!» Es ist die von allen existenziellen Einengungen losgelöste Liebe, die der spätromantische Komponist hier beschwört. Die mystische, alles umfassende Liebe. Eine Vision, gequollen aus Ahnungen und Sehnsüchten, heraufgespült aus dem urgründigen Drängen der Seele nach einem Ideal-Dasein, nach Verschmelzung mit einem erfüllenden Du. Das duale Wesen des Wassers: eine ständig sich verwandelnde, quirlige Erscheinung, doch immerfort gleichmässig hingebungsvoll.

Armando Bertozzi
Redaktor

  


Armando Bertozzi, von 1976 bis 1981 Kurse in Astrologie, Alchemie und Kabbala; 1980 bis 1988 Redaktor und Mitherausgeber von «Essentia – Zeitschrift für evolutionäre Ideen»; seit 1989 Chefredaktor von ASTROLOGIE HEUTE (E-Mail: Armando Bertozzi)