Astro-logische Merk-Würdigkeiten
Auf der Suche nach der gestohlenen Zeit
von Barbara Egert
An manchen Tagen scheint man in einer endlosen Warteschleife gefangen: Der Laptop gleicht einer Schnecke, die Hotline vertröstet, der Arzt ist krank, der Friseur macht Urlaub. Doch was soll’s, ich bin mit meiner Enkelin im Café verabredet, und die kommt bestimmt … fragt sich nur wann. Also abwarten und Latte macchiato trinken, es ist schon der zweite. Ich warte also und nutze die Zeit, um über selbige nachzudenken.
«Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding», singt die Marschallin im «Rosenkavalier»: «Wenn man so hinlebt, ist sie rein gar nichts, aber dann auf einmal, da spürt man nichts als sie». Je älter man wird, desto kostbarer wird sie. Zwar sagt man Zeit sei Geld, aber für kein Geld der Welt kann man sie, wenn es wirklich drauf ankommt, kaufen oder verkaufen oder horten, um sie später zu nutzen. Es ist ein Gerücht, die Zeitreste in Wartezimmern liessen sich einsammeln, aufbereiten und meistbietend versteigern. Auf so etwas kann nur Merkur/Uranus kommen.
Wenn Sie jemanden suchen, der warten kann, durchforsten Sie ihre Kontakte nach eindeutigen, besser noch verborgenen, plutonischen Merkmalen. Denn Pluto kann warten … auf den geeigneten Augenblick der Heimzahlung. Also Achtung, nicht jeder, der warten kann, ist harmlos! Oder hat ein so sonniges Gemüt wie etwa die jupiterhafte Evi, die, zwei rechts, zwei links, dem Warten strickend etwas von seiner Sinnlosigkeit nimmt. Die meisten von uns empfinden Warten nämlich als Zumutung, als Kränkung, und wer uns warten lässt, unsere Geduld strapaziert, der stiehlt uns die Zeit, selbst wenn das nicht immer offensichtlich ist.
Man spürt es eher indirekt an wachsender Ungeduld, wenn man uns vertröstet, versetzt oder allzu umständlich etwas erklärt, wie jener Saturnier mit einem bodenständigen Merkur, der die Frage nach einer Strasse mit einem städtebaulichen Vortrag beantwortet. – Allerdings, er ist auch Experte in Dreisatz und Steuererklärung und kann einem trotz all seiner uns weltfremd erscheinenden Prinzipien durch seine Gründlichkeit Zeit einsparen helfen. Man sollte allerdings lernen, unauffällig zu gähnen, nicht dauernd auf die Uhr zu blicken und hin und wieder zu signalisieren, dass man durchaus noch in der Lage ist zu verstehen, wovon er gerade redet. Und um Himmels willen seine Langeweile verbergen, besonders wenn man beispielsweise ein uranisches Nervenkostüm hat.
Apropos Uranus: Der hat es gerade nötig, sich über Saturns Umständlichkeit zu mokieren! So rasant wie der bucht und storniert sonst keiner. Immer auf der Durchreise von Irgendwo nach Nirgendwo, in der Grauzone von Noch-nicht und Nicht-mehr ist der Transitbereich sein eigentliches Zuhause. Auch wenn es ihm selbst sicher gar nicht bewusst wird, derart rigoros wie er geht sonst niemand mit der Zeit anderer um: Er kommt und geht, wann er will. Stets ist er mit etwas beschäftigt, das absolute Priorität hat. Ein Event jagt das nächste. Das wird man doch verstehen?
Nein, ganz und gar nicht!, würde Neptun erwidern, denn er denkt in ganz anderen Zeitdimensionen. Dem Anfang mag ja ein Zauber innewohnen, und Uranus hält er für geradezu süchtig nach diesem Zauber (umgangssprachlich nennt man das Kick), aber ein viel grösserer Zauber sei doch in Begriffen wie «erfüllte Zeit» und Ewigkeit zu finden. Und Ewigkeit nicht nur gedacht als Ort einer Sehnsucht, sehr, sehr fern von Hier und Heute, sondern in smogfreien Nächten angesichts der unendlichen Weiten des Alls durchaus erlebbar, sondern auch als endlose Zeitspanne, welche die Evolution brauchte, um aus einer unscheinbaren Mikrobe etwas so Nettes wie meine Enkelin zu erschaffen, die allerdings immer noch auf sich warten lässt.
Zerstreuung, auf welchem Niveau auch immer, dient der Entspannung. Verfällt man ihr, vergeudet man die Zeit, die man bräuchte, um etwas Sinnvolles zu tun. Besser man freundet sich mit der Kunst des Wartens an, etwa indem man über das Verrinnen der Zeit nachsinnt, wie ich es gerade versuche. Zugegeben, nichts für Mars. Aber selbst der soll ja lernfähig sein, besonders wenn man ihm das Warten als Sieg schmackhaft macht.
Allerdings wird mein eigener Mars langsam nervös: Wo bleibt sie nur, es wird doch nichts passiert sein? – «Nein, nichts ist passiert, aber …», haucht sie ausser Atem, als sie endlich erscheint. Und dann folgt eine so abenteuerliche Geschichte, die, wenn sie nicht wahr sein sollte, auf jeden Fall gut erfunden ist. Wir trinken Kaffee, erzählen, die Zeit vergeht wie im Flug – so sollte es sein. Und mir ist, als hätte es das Warten nie gegeben.
Barbara Egert, geprüfte Astrologin DAV, jahrzehntelange Astrologieerfahrung, lebt und arbeitet in Berlin; Bücher: «Hochsensibilität im Horoskop» (2012), «Krisen im Horoskop erkennen» (2011), «Kindheitserfahrungen im Horoskop» (2009), «Wenn die Kindheit Schatten wirft. Beziehungen. Hochsensibilität. Narzissmus» (2014); ständige Mitarbeiterin von ASTROLOGIE HEUTE, E-Mail: Barbara Egert