Des Girolomo Cardanos von Mailand eigener Lebensbeschreibung: Diese Autobiografie des im Nachhinein so benannten «Universalgenies der Renaissance» lädt zur Horizonterweiterung ein. – Ein Buch der Kür, das eigene astrologische Firmament fragend selbst zu bestirnen: Woran erkennt sich der Geist in seiner Besonderheit selbst zu Lebzeiten? Wie wird Freude am Lernen und am Denken des Undenkbaren gelegt? Wird diese oder aber das Misstrauen gegenüber anderen, den «Zeitverschwendern» und «Abschreibenden» durch die Erfahrung einer Kindheit mit jähzornigen liebfernen Eltern gelegt? Was darf ich hoffen?
Die Leerstellen psychologischer Begründungen für den «bösen Stern, der ihn nicht verliess» füllt der sich willentlich in die Ewigkeit einschreibende und in den Sternenhimmel hinein träumende Mann, der so gern bewundert sein wollte, mit Akribie: Keine Kleinheit war es unwert, inbrünstig notiert zu werden; war Potenzial für Relevanz und Ruhm, immer angelegt für Forschung und Unsterblichkeit. Mit Traumerzählungen und -deutungen unterlegt er seine Aufzählungen über Gewohnheiten und Persönlichkeitszüge, ebenso wie mit Erklärungen zum eigenen Horoskop (so, wie er es mit den von ihm erstellten Horoskopen für Dürer und Petrarca getan hatte?), das ihn letztlich «mit einer gewissen Verschmitztheit» versah.
Er erfand nicht nur das Kombinationsschloss und die Cardanwelle; er kurierte John Hamilton, den Erzbischof von Schottland, von dessen Asthma – was ihm selbst später das Leben retten sollte.
Das ruhmvolle Weiterleben in den eigenen Kindern misslang: Die berufsbedingte Syphillis der Tochter konnte der Universätsprofessor Cardano, berühmtester Mathematiker und Arzt seiner Zeit, leider nicht heilen (obwohl ihm selbst die Unterscheidung von Syphillis und Gonorrhoe zuzurechnen ist).
Nicht nur sein jüngster Sohn Ado, der dem Bruder Giovanni beim Mord an dessen eigener Frau geholfen hatte (um einen vorher begangenen Mord zu vertuschen), verriet den Vater, der für die Unschuld des Sohnes gebürgt und den Mord gedeckt hatte, an die Inquisition (und wurde dafür als öffentlicher Scharfrichter und Folterer verbeamtet) – auch Cardanos Erzfeind Tartaglia bezichtigte ihn dort des Meineids, da dieser angeblich in seinem 1545 erschienenen Buch «Ars Magna» – das die erste komplette Analyse der Lösungen kubischer Gleichungen einschliesslich aller komplexen Zahlen bot – speziellere Berechnungen von ihm nicht gekennzeichnet hätte. Hatte Cardano jedoch schon! – ebenso, wie er allerdings auch ein Christus-Horoskop erstellt haben soll … Aus dem Kerker holte ihn jedenfalls John Hamilton, der dazu eigens aus Schottland anreiste.
Diese Geschichte findet sich auf mehrere der 54 Kapitel verteilt und konzentriert sich dabei auf die «Milde» der Inquisition, doch die tiefe Trauer um seinen ältesten Sohn lässt er in zahlreiche Reimen fliessen.
Cardano hatte sich als erster darin versucht, das verheissungsvolle Funkeln der Sterne zu erklären und es ist SEINE ursprüngliche Äusserung: «Wir alle haben den gleichen Heimweg» – nicht die des Novalis. Wie und was hoffte er denn da ein Leben lang? Er verrät es nicht wirklich, seine Lebensgeschichte, die nichts vergessen will, und ein Jahr vor seinem Tod beendet wurde, blieb Fragment, und die Astrologie diente ihm nicht primär der Sinnfindung, sondern der Charakterbegründung.
Er stirbt am 21. September 1576 völlig verarmt, drei Tage vor seinem 75. Geburtstag in Rom. 130 Jahre später und 200 Jahre, bevor ein Mondkrater nach ihm benannt wurde und er damit doch endlich selbst am Himmel verewigt erscheint, ehrt ihn Leibnitz in seinen «Essais de théodicée»:
"Es scheint, das Wissen hat einen Zauber, den die nicht begreifen können, die von ihm nie ergriffen worden sind. Ich meine nicht bloss Tatsachenwissen, das keine Gründe kennt, sondern ein Wissen wie dasjenige Cardanos. Der war wirklich ein grosser Mann, trotz aller seiner Fehler; ohne die wäre er unvergleichlich gewesen."
Alle Raubeinigkeiten hat dieser leichthin gelistet, so als würde er nebenbei den raschen Blick in den Spiegel kommentieren – keine Menschelei bis hin zum Glücksspiel, die im Verhaltensrepertoire fehlt. Durch den ständigen Wechsel der unmittelbaren Blicke in seine Seele und in die Renaissance-Zeit werden eigene astrologische Überlegungen und eigenes Denken immer wieder angeregt – womit dem Autor sicher auch die grösste Ehre erwiesen wird. Auch wenn dieser es vielleicht gerade bedauert, nicht weiter miteinander schlussfolgern zu können.
–Gaby Marske-Power
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