Astrologie Heute Nr. 210 (April 2021)
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Astrologie Heute Nr. 210
April 2021

Inhaltsverzeichnis
Heft Nr. 210 bestellen

Astro-logische Merk-Würdigkeiten

Glückliche Regale

von Barbara Egert

In Büchern findet man alles. Wenn man sie denn wiederfindet! Wo aber versteckt sich jenes vermaledeite Buch, das man gerade verzweifelt sucht? Am, im, unter, hinter oder neben dem Bett? Wer mit einem Buch pro Jahr zufrieden ist, leidet – könnte man meinen – weniger an dessen Unauffindbarkeit als ein Vielleser. Doch so ist es nicht, denn sein Glück hängt nun mal an diesem einen, einzigen Faden, während sich zum Vergnügen dessen, der sich von Buch zu Buch treiben lässt, der Zufall gesellt. Und der zaubert aus all den unterschiedlichen Fäden ein Gewebe, das aus jedem ganz normalen ein glückliches Regal macht.

Das Anna-Karenina-Prinzip besagt, dass alle glücklichen Regale einander gleichen, jedes unglückliche aber auf seine eigene Weise unglücklich ist. Oft besteht sein Unglück lediglich darin, niemanden zu haben, mit dem es sich unterhalten kann. Zwei Bücher würden schon reichen, aber der Besitzer zieht eine einsame Vase vor. Wer gerade eben erst begonnen hat, die Welt astrologisch zu betrachten, wird den Eigner sofort als saturnisch entlarven. Weit gefehlt, denn könnte nicht Neptun seinem Jupiter empfohlen haben, das Lesen zu lassen, die Vase mit Lotusblüten zu füllen und sich von ihnen das Geheimnis des Seins erklären zu lassen? Denn wahrhaft glücklich seien doch jene Regale, die sich von der Last der Bücher befreit hätten, also losgelassen haben. Zugegeben, ein sehr hinduistisches Jupiter/Neptun-Gespann!

Was braucht ein Regal, um glücklich zu sein? Neugierde und ein gutes Verhältnis zum Zufall, der auch gegensätzliche Bücher nicht verdammt, sondern ermuntert, sich kennenzulernen. Schon ein schmales Brett kann zum Beginn einer lebenslangen Leidenschaft werden: Madame Bovary freundet sich mit Ingeborg Bachmann an; natürlich geht es um Todesarten. Nachts, sollte man meinen, schlafen die Bücher. Aber nein, ihr Wispern erlischt nie, und wer genau hinhört, weiss auch, was sie über uns, ihre Besitzer, erzählen: «Ich bin unter mehr als fragwürdigen Gründen hier gelandet: Von Neptun umgarnt, vom diebischen Merkur entführt, von Saturn missbilligt. Aber euch, meine geschätzten Kollegen wieder verlassen? Nie und nimmer!»

Doch auch das glücklichste Regal wird mitunter von Selbstzweifeln geplagt, ob jener unscheinbare E-Book-Reader – von dem Uranus meint, er befreie die Welt endlich vom Ballast des bedruckten Papiers – nicht auch sein Ende bedeuten könnte. Merkur vermittelt wie immer zwischen beiden Welten, downloadet E-Books und kümmert sich um hölzerne Anbauten. Manche schwören wegen der Holzwurmgefahr auf Regale aus Metall. Wer astrologisch denkt, weiss trotz der Gefahr zu verallgemeinern, wer damit gemeint sein könnte.

In dieser vielbrettrigen Welt, die Gegensätze auf kleinstem Raum vereint, macht Nichtbeachtung geschwätzig. Erstausgaben seufzen, sie seien nur noch Dekoration. Der astrologisch versierte Gast durchschaut den Gastgeber als Fisch. Und gehört jener pompöse Schrank aus dunkler Eiche mit vergitterten Fenstern, hinter denen die Klassiker schlafen, etwa nicht einem Stier mit Pluto im dritten Haus?

«Ich bin fertig mit dir!», ruft eine Stimme aus der vierten Etage, und schon regnet es Bücher auf den Verlassenen, der sie unten auffängt und nicht begreift, warum all seine Lektüre dieses Desaster nicht verhindern konnte. Das Regal fragt sich erschrocken, ob es gleich mitfliegen wird. Von fern erklingt die Königin der Nacht: «Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen!» Doch ein freundliches Staubtuch streichelt, was die Wut verschonte. Ein winziges Büchlein, leicht wie der Wind und tief wie das Meer, konnte sich retten und begrüsst lächelnd das verwaiste Regal: «Nenne mich so, wie du willst, dass ich heisse. Wenn die Dinge sich wandeln und Bücher fliegen lernen, vertrau dem Spontanen, es ist dir gewogen.»

Und was ist mit meiner eigenen Regalwelt? Anfangs herrschte in ihr alphabetische Ordnung. Saturn war zufrieden. Doch Neptun fand nie, was der sprunghafte Uranus ständig verlegte. 87,97 Tage hielt Merkur durch, für einen weiteren Sonnenumlauf wollte er keine Garantie übernehmen. Bald schon herrschte Chaos, und ich versuchte es diesmal anders. Endlich wird alles gut: Astrologie hier, Belletristik da, Sachbücher unten, Diverses hoch oben. Doch nichts währt ewig. Zwinkert da nicht gerade der «Distelfink» der «Alice im Wunderland» zu? Freudig begrüsst mich wieder der Zufall …


Barbara Egert, geprüfte Astrologin DAV, jahrzehntelange Astrologieerfahrung; Bücher: «Astro-logische Merkwürdigkeiten – Kolumnen» (2017, nur bei Amazon erhältlich), «Wenn die Kindheit Schatten wirft: Beziehungen, Hochsensibilität, Narzissmus» (2014), «Hochsensibilität im Horoskop» (2012), «Krisen im Horoskop erkennen» (2011), «Kindheitserfahrungen im Horoskop» (2009); ständige Mitarbeiterin von ASTROLOGIE HEUTE, E-Mail: Barbara Egert