Licht auf einen blinden Deutungsfleck
Klemens Ludwig:
Die kosmische Dreifaltigkeit
Die drei Urprinzipien kardinal, fix und veränderlich als Schlüssel zum Verständnis des Horoskops, mit Vorwort von Erich Bauer
Pb., 98 S., 15 Abb., € 18,90 / sFr. 22,30 fPr
Chiron Verlag, D-Tübingen 2020
Die Dreiheit als materielles und geistiges Prinzip: Bauen, Bewahren, Zerstören. So sieht der Hinduismus das göttliche Wirken in der Welt: Brahma der Schöpfergott, Vishnu der Bewahrer, Shiva der Zerstörer. – Gott Vater, der Schöpfer, Gottes Sohn, der Retter und Bewahrer, der Heilige Geist, der durch Wandlung zur Einsicht führt. Das ist eine christliche Sicht der Dreiheit.
Die Welt besteht aus dynamischen Dreierschritten: kardinal, fix, veränderlich: Wir wollen. Wir haben. Wir erkennen und überwinden. Zunächst ist ein Wille da, der sich einer Idee oder einer Angelegenheit bemächtigt. Der Wille formt diese Idee, diese Sache gestalthaft aus, bis sie allenthalben wie selbstverständlich gehandhabt wird. Der tätige Wille, der mit Eroberungsgeist und gehörigem Betriebsdruck einhergeht, sorgt für „Fortschritt“, für „Innovation“ Schliesslich ist es diese um- und neugeformte Idee, die nach und nach in den kollektiven Besitz übergeht. Ein neuer Standard wird erreicht, auf dessen Niveau die Dinge selbstverständlich werden: ein stabiler Zustand, womöglich auf Jahre hinaus. Das ist die Zeit des „Habens“, eine Zeit fragloser Sicherheiten und garantierter Wahrheiten. Aber dann zeigen sich feine Risse. Geltende Standards einerseits und aufkommende Ideen andererseits führen zu Reibungen und Widersprüchen. Die Risse werden grösser. Jetzt setzt die Zeit der Erkenntnis ein, der Erkenntnis von Grösse und Grenzen der noch geltenden Standards. Im Umriss zeigt sich aber auch schon die Ahnung, dass die geistige Überwindung dieser Standards bevorsteht.
Dieses Entwicklungsschema, dem übrigens in aller Regel die wissenschaftlichen Innovationen und Revolutionen folgen, gehört auch zur Ausstattung des Tierkreises. Wir sprechen vom kardinalen Kreuz, vom fixen Kreuz und vom veränderlichen Kreuz. Klemens Ludwig beschäftigt sich in seinem neuen Buch Die kosmische Dreifaltigkeit eingehend mit diesen sogenannten Modalitäten. In diesem Buch werden die Modalitäten auch bezüglich Häuser und Aspekte beschrieben und das schwierige Thema anhand praktischer Übungen verdeutlicht.
Halten wir uns vor Augen, dass der Tierkreis vom Zeichen Widder bis zu den Fischen in etwa dem Jahreslauf auf der Nordhalbkugel der Erde entspricht. Das „kardinale Kreuz“ bezieht sich auf den jeweils ersten Monat einer Jahreszeit. Die neue Jahreszeit beginnt voller Kraft und Willen. Der jeweils zweite Monat einer Jahreszeit entspricht der fixen Dynamik, dieser Monat ist der stabilste, was die Jahreszeit betrifft, der für die aktuelle Jahreszeit zugleich typischste Monat. Der jeweils letzte Monat einer Jahreszeit hingegen ist wenig stabil, die jahreszeitlichen Klima- und Wetterlagen geraten eher durcheinander, oft erleben wir in diesem letzten Drittel schon einen deutlichen Vorgriff auf die bevorstehende nächste Jahreszeit.
Wir sind gewohnt, die Dynamik eines Individualhoroskops als abhängig vom Verhältnis kardinaler, fixer und veränderlicher Zeichenbesetzung zu deuten. Überwiegt im Individualhoroskop eine Besetzung der kardinalen Zeichen Widder, Krebs, Waage, Steinbock, setzt der Horoskopeigner einen beachtlichen Willen ein, um eine Vision zu verwirklichen. Überwiegt eine Besetzung der fixen Zeichen Stier, Löwe, Skorpion und Wassermann, tritt eine bewahrende und pflegende Perspektive in den Vordergrund. Überwiegt schliesslich die Besetzung der veränderlichen Zeichen Zwillinge, Jungfrau, Schütze und Fische, so treten Anregsamkeit und Vielseitigkeit nach vorn, der Horoskopeigner erscheint spontan und widersprüchlich, ist jedoch zugleich geistig schöpferisch, spielerisch, stellt infrage und gibt unerwartete Antworten. Auf Häuserebene gehen wir analog vor und unterscheiden die Besetzung „kardinaler Häuser“ (Häuser 1, 4, 7 und 10), „fixer Häuser“ (Häuser 2, 5, 8 und 11), und „veränderlicher Häuser“ (Häuser 3, 6, 9 und 12).
Dies alles „weiss“ der Fachastrologe irgendwie. Ob er es auch anwendet, ist fraglich. Die Zunft neigt jedoch dazu, sich beim Deuten eines Horoskops auf die Durchführung der „drei Hauptübungen“ zu beschränken – Planet im Zeichen, Planet im Haus und Planet im Aspekt zu anderen Faktoren. Insofern wirft das Buch von Klemens Ludwig ein ganz pragmatisches Licht auf einen blinden Deutungsfleck der modernen Astrologie.
– Christoph Schubert-Weller
|
|