Astrologie Heute Nr. 211 (Juni 2021)
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Astrologie Heute Nr. 211
Juni 2021

Inhaltsverzeichnis
Heft Nr. 211 bestellen

Astro-logische Merk-Würdigkeiten

Besserwissen

von Barbara Egert

Am 19. April 1995 überfiel der 44-jährige McArthur ­Wheeler unmaskiert eine Bank in Pittsburgh, wurde eine Stunde später verhaftet, mit dem Überwachungsvideo konfrontiert und murmelte entgeistert: «Aber mein Gesicht war doch voller Zitronensaft!» Er war felsenfest überzeugt, dass Zitrone unsichtbar mache. Sein Horoskop ist unauffindbar. Schade! Es hätte uns einiges über den grassierenden Verschwörungswahn erzählen können. Die beiden Sozialpsychologen Dunning und Kruger nahmen den missglückten Wheeler-Coup zum Anlass, über die Neigung inkompetenter Menschen nachzudenken, welche das eigene Wissen und Können über- und die Fähigkeiten kompetenter Menschen unterschätzen.

Alles ist möglich, wenn man fest an die kreative Kraft des Zufalls und an eine ihn begünstigende astrologische Konstellation, etwa Uranus auf Jupiter, glaubt. Dadurch stürzt jemand, nennen wir ihn Saul, vom hohen Ross seiner Voreingenommenheit, Inkompetenz und Ignoranz herab, macht, vom Blitz des Dunning-Kruger-Effekts getroffen, eine Metamorphose durch und will als Paul ab sofort alle Menschen davon überzeugen, wie voreingenommen, inkompetent und ignorant sie sind. Zugegeben, Paul schiesst weit übers Ziel hinaus, aber die Richtung stimmt.

Recht zu haben ist für Besserwisser (Merkur/Pluto), Nörgler (Steinbock/Saturn) und Perfektionisten (Jungfrau) ein Grundbedürfnis, ohne das sie befürchten, im Staub der Bedeutungslosigkeit unsichtbar zu werden. Halbwissende halten sich bekanntlich für besonders klug, fast für allwissend. Da Dumme nicht wissen, dass sie so gut wie nichts wissen, verspotten sie alle, die etwas mehr als gar nichts wissen, äussern Meinungen, geben Ratschläge und werden nicht einmal rot vor Scham. Ihr ständiges Besserwissen nervt ganz besonders kompetente Menschen, die nicht länger gewillt sind, ständig ihren eigenen Wissensvorsprung wegzulächeln. Doch das unerträglich vereinnahmende «Meinen Sie nicht auch?» wird sie zwingen, endlich mit einem unverbindlichen «Nein!!!» Farbe zu bekennen. Eine peinliche Situation für gebildete Schützen und höfliche Waagen. Contenance zu wahren, seine ehrliche Meinung zu sagen, ist angesichts eines plutonischen Chefs mit grösserer Ein- als Ausbildung besonders riskant. Gedemütigt könnte er kontern «Halten Sie mich etwa für dumm?» – wer würde sich schon trauen, das zu bejahen?

Ganz im Gegenteil zu Sokrates, der die kognitiven Verzerrungen sich selbstherrlich überschätzender Koryphäen kongenial entlarvte, selbst aber offen zugab, nur zu wissen, dass er nichts wisse. Noch immer zweifeln Wissende daran, überhaupt etwas zu wissen, während Unwissende sich ohne Skrupel für vollkommen halten, und Inkompetente meinen, sie hätten den perfekten Durchblick. Wenn sie sich irgendwann mit ihrer Unvollkommenheit anfreunden könnten – keiner ist vollkommen –, machten sie besonders den Göttern eine grosse Freude, die endlich Zeit für Wichtigeres fänden, als ständig vergebens gegen die Dummheit zu kämpfen.

Früh schon hat man uns mehr oder ­weniger erfolgreich beizubringen versucht, Wissen sei Macht. Jedes Mal, wenn wir in unserem Horoskop eine Allianz von Pluto und Merkur bemerken, wird dieser Versuch erneut unternommen. Ist Pluto in uns äusserst stark präsent, geht er weit über diesen Versuch hinaus und behauptet doch tatsächlich, besonders viel Wissen mache allmächtig. Ich halte das zwar für masslos übertrieben, für typisch plutonisch eben, aber so ist er nun mal in all seiner Ausschliesslichkeit.

Allmächtig zu sein ist das Privileg der Götter, eigentlich aller Götter. Aber wie sehr jeder von ihnen sowohl der allergütigste als auch der allermächtigste sein möchte – wir erleben das mit, wenn wir in ihre Intrigen und Machtkämpfe hineingezogen werden. Wer ist denn nun wirklich der Allergrösste, Allermächtigste und Allergütigste von allen? Der Dunning-Kruger-Effekt könnte Klarheit schaffen. Ich fürchte, als Meister der Intrige werden sie ihn zu verhindern wissen. Leider. Immerhin haben die beiden Forscher als Trost den satirischen Nobelpreis im Bereich Psychologie erhalten, der Leistungen ehrt, die «Menschen zuerst zum Lachen, dann zum Nachdenken bringen».


Barbara Egert, geprüfte Astrologin DAV, jahrzehntelange Astrologieerfahrung; Bücher: «Astro-logische Merkwürdigkeiten – Kolumnen» (2017, nur bei Amazon erhältlich), «Wenn die Kindheit Schatten wirft: Beziehungen, Hochsensibilität, Narzissmus» (2014), «Hochsensibilität im Horoskop» (2012), «Krisen im Horoskop erkennen» (2011), «Kindheitserfahrungen im Horoskop» (2009); ständige Mitarbeiterin von ASTROLOGIE HEUTE, E-Mail: Barbara Egert