Astro-logische Merk-Würdigkeiten
Nie wieder einsam!
von Barbara Egert
Wenn neun Millionen Briten unter Einsamkeit leiden und sich als erstes Land weltweit ein Ministerium leisten, das sich um seine Vereinsamten kümmert (Mond/Neptun legt mit leiser Freude seine liebste Chopin-DVD auf), dann sollte man bei uns zumindest über einen Staatssekretär für Schüchterne nachdenken, da die besonders gefährdet sind. Zunächst wird er versuchen, seine Mitarbeiter zu ent-schüchtern. An Sachkompetenz mangle es ihm nicht, wird er verlauten lassen, und zwar so überzeugend, wie das nur ein Politiker kann oder jemand, der auch astrolo-gisch dafür geeignet ist: Weder behindert ihn ein störrischer Saturn, noch fehlt es ihm an der Eloquenz Merkurs, der ausgeprägten Empathie Neptuns und schon gar nicht an plutonischer Power. Doch was wäre all das ohne seinen grandiosen uranischen Weitblick in eine kontakt-freudigere Welt, in der keiner sich erst einen Hund anschaffen muss, nur um mit Fremden ins Gespräch zu kommen.
Dank innovativer Gentherapie, verrät der potenzielle Staatssekretär, wird schon bald keiner mehr wissen, was einsam sein überhaupt bedeutet. Da die Position des Einsamkeits-Gens bekannt sei, hoffe man es durch das Kontaktfreude-Gen ersetzen zu können. Schon klappern die Genscheren – man kann gespannt sein. Und ganz besonders gespannt kann man sein, was die Astrologie davon hält, wenn etwa unliebsame pluto-, venus- oder saturntypische Eigenschaften von diesen quirligen Scheren eliminiert werden. Was bleibt dann noch übrig vom Horoskop? Uranus ist sprachlos. So hat er sich die Zukunft nun auch nicht vorgestellt. Zum Glück ist man von einer Gentherapiepflicht noch weit entfernt.
Statistisch gesehen hält jeder Zweite sich für schüchtern, jeder Dritte leidet unter Einsamkeit, jeder Vierte allerdings hofft, die Astrologie könne ihm helfen, sich endlich nicht mehr als Aussenseiter zu fühlen, sondern so zu werden wie alle anderen auch. Genau das aber, meinen Psychologen, solle man auf jeden Fall vermeiden, sondern lieber stolz darauf sein, sich von anderen zu unterscheiden. Denn wer besitze schon so viel Fantasie, meint Neptun, um sich in entfernte Galaxien hineinzuträumen? Gespräche mit sich selbst zu führen, hält Merkur für eine gute Therapie, um auch mit anderen erfolgreich zu kommunizieren. Venus sieht das ähnlich: Nur wer sich selbst mag, den werden auch andere mögen. Und Saturn, grundsätzlich wie immer, zitiert Jean de La Bruyère: «All unser Ungemach kommt von unserer Unfähigkeit, allein zu sein.»
Genau, meint die Pharmaindustrie und empfiehlt deshalb wie eh und je «Mother's Little Helper» (seit dem uralten Hit der «Rolling Stones» noch heute eine gängige Umschreibung von Tranquilizern). Einige werden sich an den Song erinnern: «And though she’s not really ill / There’s a little yellow pill / She goes running for the shelter / Of her mother’s little helper». Neptun ist bekanntlich mit jeder Art des Abdriftens vertraut, weiss aber auch, dass Tabletten das Problem nicht lösen und empfiehlt stattdessen eine Nebelwanderung mit Hermann Hesse: «Seltsam, im Nebel zu wandern! / Leben ist Einsamsein. / Kein Mensch kennt den andern, / Jeder ist allein».
Nur einmal im Monat ein Gespräch zu führen und trotz eines gut gestellten Merkurs ertragen zu müssen, dass einem nur Kommentare zum Wetter einfallen, kann der Sinn des Lebens nicht sein, meint einer unserer Freunde und erschafft sich einen Altar ohne Weihrauch und Myrrhe, sondern mit den Fotos seiner imaginären Idole. Da sitzt er nun, macht Freud mit Proust bekannt, der Susan Sontag bittet, Hannah Arendt zu fragen, ob es noch opportun sei, Adorno zu lesen. Sie alle scheinen nur darauf gewartet zu haben, mit einem Irdischen ins Gespräch zu kommen. Denn so abwechslungsreich wie man meint, sei das Jenseits leider auch nicht…
Wem die totale Vernetztheit auf die Nerven geht, sollte sich eine sentimentale Reise in die guten alten Zeiten gönnen, sich wehmütig an den Schein des Mondes über dem Meer erinnern, an Billie Holiday und ihr herzergreifendes: «In My Solitude». Und, Wunder über Wunder, schon wird er sich umringt fühlen von Ella Fitzgerald, Thelonious Monk, Nina Simone und all den anderen, die Duke Ellingtons Evergreen auch interpretierten. Es müssen eben nicht immer nur die Lebenden sein, um sich verstanden zu fühlen.
Barbara Egert, geprüfte Astrologin DAV, jahrzehntelange Astrologieerfahrung; Bücher: «Astro-logische Merkwürdigkeiten – Kolumnen» (2017, nur bei Amazon erhältlich), «Wenn die Kindheit Schatten wirft: Beziehungen, Hochsensibilität, Narzissmus» (2014), «Hochsensibilität im Horoskop» (2012), «Krisen im Horoskop erkennen» (2011), «Kindheitserfahrungen im Horoskop» (2009); ständige Mitarbeiterin von ASTROLOGIE HEUTE, E-Mail: Barbara Egert