Astrologie Heute Nr. 216 (April 2022)
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Astrologie Heute Nr. 216
April 2022

Inhaltsverzeichnis
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Astro-logische Merk-Würdigkeiten

Erbsen zählen statt Sprüche klopfen

von Barbara Egert

Wenn es einem nicht so gut geht, ist jeder von Herzen kommende Trost willkommen. Wird man stattdessen mit Sprüchen überschwemmt, weiss man nie, ob das Mitgefühl echt ist. Wie soll man um Himmels willen auf die Binsenweisheit reagieren, das Leben sei viel zu kurz, um traurig zu sein? Etwa mit einer Geste, bei der beide Schultern angehoben und nach unterschiedlich langer Verzögerung wieder abgesenkt werden? Oder riskiert man eine Mischung aus Verwunderung und Ironie: «Was Du nicht sagst, so habe ich das ja noch nie gesehen. Es geht mir schon viel besser»?

Wie gereizt kann man sein, ohne unhöflich zu wirken, wenn jemand einem versichert: «Du schaffst das schon»? Immerhin ist es ihm sicher nicht leicht gefallen, unter allen möglichen Plattitüden genau diese eine auszuwählen. Allerdings sollte man ihm aber auch zu verstehen geben, dass man seit Tagen leider erfolglos genau das versucht und immer noch auf die ultimative Idee wartet. Vielleicht verbirgt die sich ja hinter dem optimistischen «Be cool and take it easy», das einem soeben per SMS zuflattert? Besser ist es, darauf nicht mit einem «Meinst Du das wirklich?» zu reagieren. Denn das würde die gute Absicht des kühlen Leichtnehmers in Frage stellen. Ehrlicher wäre aber auf jeden Fall ein «Interessiert Dich eigentlich wirklich, wie es mir geht?». Das jedoch zerrüttet fast jede Beziehung. Wahrscheinlich ist es sowieso das Beste, sich erstmal die Bettdecke über den Kopf zu ziehen, an die Macht des Evergreens aller Sprüche zu glauben, dass einzig die Zeit alle Wunden heile oder «Heile, heile Gänschen, es ist bald wieder gut...» zu summen. Das vertröstet uns auf irgendwann, aber etwas früher wäre besser.

Warum versteckt man seine wahren Gefühle hinter Redensarten? Aus Angst vor Nähe oder dem Wunsch, nichts falsch zu machen? Geflügelte Worte versprechen zwar die Dinge auf den Punkt zu bringen, verharren dort aber nicht länger als nötig und fliegen schnell wieder auf und davon. Nicht der Wind, das Windige ist ihr Element. Und was sie zwitschern sind nur kleine bunte Smileys. Wer mehr will, sollte sich damit nicht zufrieden geben. Doch ohne Beistand der merkurialen Kräfte fehlen Gefühlen die richtigen Worte. Denn etwas zu empfinden heisst ja noch lange nicht, es auch ausdrücken zu können. Selbst die nett gemeinte Ermunterung, dass alles wieder gut wird, kann daran nichts ändern. Es sei denn, man tröstet sich mit der Verheissung, dass am Ende alles gut wird. Und wenn es nicht gut ist, es eben noch nicht das Ende ist.

Gefühle sind keine Dinge, aber die Sprache macht das Unmögliche möglich, wenn sie von unserer Verletzlichkeit in «Gefühlsdingen» spricht. Einer meiner früheren Chefs verhedderte sich jedes Mal, wenn ein Thema gefühlig wurde und seiner saturnischen Angemessenheit entglitt. Die Begrüssung jedes Mitarbeiters begann mit einem «Wie geht es Ihnen heute?» und endete mit dem üblichen «Ach, wie interessant». Doch fast nie ist alles wie immer, weil die Wechselfälle des Lebens jede Struktur in Frage stellen. Denktypen leiden darunter. Also machte ich ihm den Vorschlag, «gefühlsbedingte» Formulierungen für alle Fälle zu entwerfen. Danach konnten ihn weder Gratulationen noch Beileidsbekundungen mehr irritieren, denn für jede Situation war ein Spruch parat.

Wenn jemand nur halbherzig gefragt wird, wie es ihm geht, sollte man sich nicht wundern, dass dieser hinter einem lapidaren: «Geht so» seine wahre Befindlichkeit verbirgt. Ganz im Sinne des melancholischen Saturn, der hochtrabendes Gerede durchschaut und verachtet. «Erbsen zählen statt Sprüche klopfen!» wäre sein Motto. Die Empfehlung, jetzt hier und nicht woanders zu sein, findet er ebenso albern wie den Vorschlag professioneller Ratgeber, man selbst zu sein. «Ach, wenn das alles so einfach wäre...», meint man ihn, den alten Weisen, der er ja auch ist, murmeln zu hören. Dass im «Wie» und nicht im «Was» der ganze Unterschied liege, wie Venus nicht müde wird zu beteuern, leuchtet auch ihm allerdings sofort ein.


Barbara Egert, geprüfte Astrologin DAV, jahrzehntelange Astrologieerfahrung; Bücher: «Astro-logische Merkwürdigkeiten – Kolumnen» (2017, nur bei Amazon erhältlich), «Wenn die Kindheit Schatten wirft: Beziehungen, Hochsensibilität, Narzissmus» (2014), «Hochsensibilität im Horoskop» (2012), «Krisen im Horoskop erkennen» (2011), «Kindheitserfahrungen im Horoskop» (2009); ständige Mitarbeiterin von ASTROLOGIE HEUTE, E-Mail: Barbara Egert