Astrologie Heute Nr. 229 (Juni 2024)
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Astrologie Heute Nr. 229
Juni 2024

Inhaltsverzeichnis
Heft Nr. 229 bestellen

Astro-logische Merk-Würdigkeiten

Kritik und Selbstkritik

von Barbara Egert

Ich stehe morgens auf, wanke ins Badezimmer, schaue in den Spiegel und frage mich: Wer bist Du denn? So fängt der Tag schon lustig an. Eine Möglichkeit gibt es, mit Selbstkritik klarzukommen, und die ist ganz einfach: Was einem an sich selbst nicht gefällt, das projiziert man auf andere. Auf wen könnte ich mein morgendliches Antlitz denn projizieren? Der Spiegel reflektiert Ratlosigkeit. Meine verschleierten Augen vernebeln zum Glück die Sicht auf mein Gesicht, gezeichnet von jenen neptunischen Geistern und Gespenstern, die nachts in meiner Traumlandschaft ihr Unwesen treiben. Da hilft keine Selbstkritik, das ist das Schicksal von all den Gezeichneten, in deren Horoskop Neptun/Fische und das zwölfte Haus eine dominante Rolle spielen.

Ich bin weder faul noch geizig oder zornig – der andere ist es, das sieht doch jeder. Ein weiterer Vorteil dieser Methode: Man projiziert nur Negatives und behält den positiven Rest für sich. Mutig, klug und weise zu sein bleibt also auf der Habenseite. Wie wir sein sollten, steht auf einem ganz anderen Blatt, das wir solange beiseite schieben, bis wir vergessen haben, dass es überhaupt existiert. Später besucht man eine Therapie, um Projektionen zurückzunehmen.

Eine bewährte Methode, der Wahrheit näher zu kommen, lässt sich zwar mit der Formel «Trial and Error» umschreiben, nicht aber nachempfindbar machen, denn man favorisiert den Versuch und ignoriert den Irrtum, feiert Erfolge und vergisst die Niederlagen. Etwas zu versuchen ist einfach, aber wiederholt etwas zu versuchen, ohne der Lösung auch nur einen Schritt nähergekommen zu sein, ist eine Herausforderung, die sich nicht so einfach bewältigen lässt. Um aber zu gewinnen, muss man üben. Und üben heisst, mit Misserfolgen klarzukommen. Selbst Genies sind erst später perfekt, vorher machen sie Fehler wie andere auch. Was macht man mit seinen Fehlern, was machen Fehler mit einem selbst? Diese Frage ist nicht weit hergeholt, sondern steht mitten im Zentrum unserer täglichen Hoffnung. Jeder sehnte damals den von allen Sorgen erlösenden Impfstoff herbei. Wie aber wurden unsere virologischen Genies damit fertig, noch keine Genies, sondern nur Suchende zu sein? Suchende, die, gesegnet mit Saturn und Pluto, nur Erfolg hatten, weil sie ihre täglichen Misserfolge ertragen konnten.

Was wäre, wenn die Verweigerung von Lob ebenso bestraft würde wie unterlassene Hilfeleistung? Ich hatte einen Lehrer, der mir die portugiesische Sprache beibringen sollte. Abgesehen davon, dass es mir ungewohnt schwerfiel, diese vernuschelte Sprache zu lernen, machte ich dennoch Fortschritte. In den drei Jahren Unterricht hat mich eben dieser Sprachkundige nicht ein Mal gelobt. So schlecht kann ich gar nicht gewesen sein, dass ich nicht einmal einen Hauch von Anerkennung verdient hätte. Die Lösung: Er hat Sonne und Mond in Steinbock, und Pluto aus fünf wirft ein Quadrat auf seinen Merkur im achten Haus. Sein Saturn steht in Opposition zu meinem Mond.

Solange jemand seine kritische Meinung äussert, und sei sie noch so absurd, ist es kaum sinnvoll, ihm zu widersprechen. Meinungen sind wie auch der Geschmack derart subjektiv, dass eine Erwiderung sich nur lohnt, wenn man selbst an einem Streit interessiert ist. Und es sind nicht wenige, die unterschiedliche Gründe haben, daran interessiert zu sein. Natürlich wird immer wieder behauptet, Männer neigten stärker dazu, ihrer Kritiksucht freien Lauf zu lassen. Was meiner «Meinung» nach nicht stimmt: Ich halte sie für konfliktscheu, und wie! Frauen tuscheln lieber, sagt «man». Doch wie viele Jahrzehnte ist es her, dass sie, wenn es um Tatsachen ging, eher gefühlsmässig reagierten und Meinungen «mit vollster Überzeugung» äusserten? Sehr zur Verwunderung ihrer männlichen Kollegen sind sie schon lange aus der Reserve gekommen und operieren mit Fakten statt mit Meinungen. Doch meist war weibliche Kritik eher verhalten, man flüsterte und munkelte, fabrizierte aus aufgeschnappten Meinungen Gerüchte, die sich kaum hörbar verbreiteten. Merkur/Neptun in höchster Vollendung! Sie kursieren und kursieren, bis sie zu unumstösslichen Fakten mutieren. Man kennt das auch von sich selbst. Wer sich lange genug einredet, er sei dumm oder klug, wird Erfolg haben, sein Wunsch wahr werden.

Wem es im Leben nur darum geht, besser als andere zu sein, kann sich permanente Selbstkritik gar nicht leisten: Sie würde unnötig Kraft verbrauchen und alle Kampfesfreude ruinieren. Wer in der Schule gut aufpasst und die Strategien seiner Mitschüler fleissig studiert, findet schnell das «Wundermittel», um seine versiegenden Energien zu regenerieren. Und er kann nur alle bedauern oder besser gleich verspotten, die der Selbstkritik verfallen. Wie dumm auch, da doch jeder Vernünftige weiss, dass man davon nur depressiv wird.
 


Barbara Egert, geprüfte Astrologin DAV, jahrzehntelange Astrologieerfahrung; Bücher: «Astro-logische Merkwürdigkeiten – Kolumnen» (2017, nur bei Amazon erhältlich), «Wenn die Kindheit Schatten wirft: Beziehungen, Hochsensibilität, Narzissmus» (2014), «Hochsensibilität im Horoskop» (2012), «Krisen im Horoskop erkennen» (2011), «Kindheitserfahrungen im Horoskop» (2009); ständige Mitarbeiterin von ASTROLOGIE HEUTE, E-Mail: Barbara Egert