Astrologie Heute Nr. 230 (August 2024)
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Astrologie Heute Nr. 230
August 2024

Inhaltsverzeichnis
Heft Nr. 230 bestellen

Astro-logische Merk-Würdigkeiten

Dumme Sprüche

von Barbara Egert

Wenn man seinen besten Freund anruft, um ihm mitzuteilen, dass der Arzt den eigenen Gesundheitszustand als bedenklich einschätzt, und der Freund erwidert, «man solle es locker nehmen», dann stimmt mit dem besten Freund etwas nicht oder mit einem selbst – weil man so naiv ist, ihn für den besten Freund zu halten. Wäre es nicht besser, sich einen anderen zu suchen, solange die Zeit noch reicht? Doch wahre Freunde sind rar, und der Rat, «es locker zu nehmen», ist immer noch besser, als den einfältigen Spruch zu ertragen, dass wir alle sterben müssen. Gibt es überhaupt einen Rat in so einer Situation, die zum Glück mittlerweile überholt ist, weil der Arzt anruft, dass er sich geirrt habe und hinzufügt, man solle es locker nehmen? Der also auch!

Hinter Sprüchen versteckt sich, wer seinen Gefühlen nicht von hier nach da traut. Kein Wunder, denn zu fürchten, vom Donner grosser Emotionen so sehr erschüttert zu werden, dass einem die Worte abhanden kommen, ist ein Schreckgespenst für jeden, der weiss, dass er ausser: «Ach, Du Armer! Also, so was! Wer hätte das gedacht!» zur Betroffenheit sowieso nicht viel beitragen kann. Ist man astrologisch mit Saturn gesegnet, wird man vorsorglich einige Beileidsbekundungen für den hoffentlich nicht eintretenden Ernstfall parat haben (man weiss ja nie…), wenn die Bedenken des Arztes doch stimmen sollten. Sehr förmlich geht die Welt zugrunde oder lebt weiter, wenn das Schicksal es sich anders überlegt!

Um angesichts mangelnder Einfälle seine Betroffenheit dennoch «angemessen» auszudrücken, sollte Saturn ein Gesuch um Formulierungshilfe an den Merkur senden. Der weiss nämlich, dass man behaupten kann, was man will, wenn man es nur charmant verpackt. Er versteht auch, wie man jeden ungeniert verblüfft, wenn man ein Gefühl dafür entwickelt, wie weit man gehen kann. Ausserdem bereitet es ihm diebisches Vergnügen, die Grenzen des Nehmens zu erweitern und die des Gebens so zu verringern, dass jeder Verdacht einer Täuschung sich in Wohlgefallen auflöst. Ist unser Horoskop vom Merkur bestimmt, sollten wir nicht so naiv sein, in ihm nur den geflügelten Götterboten zu sehen. Er, den die Griechen als Hermes verehrten, stahl schon am Tag der Geburt seinem Bruder Apoll fünfzig Rinder, und verteidigte sich mit der genialen Ausrede, viel zu jung zu sein, um zu wissen, was eine Kuh überhaupt sei.

Was liegt also näher, als den Merkur um Hilfe zu bitten, wenn es darum geht, nicht empfundenes Mitgefühl so zu präsentieren, dass alle zufrieden sind? Die unglücklichen Erben eines teuren Verblichenen etwa brauchen Trost, weil sie sich testamentarisch mehr erträumt haben. Der Beruf des Nachrufverwalters blüht, solange der Merkur die Branche mit Sprüchen versorgt. Peinlich nur, wenn der Geehrte versehentlich doch noch lebt: «Ach, du grüne Neune!» wäre in dem Fall etwas zu gewagt. Wie wäre es mit dem beliebten: «Ja, so ist das Leben!»? Und sollte es wirklich das Ende sein, kann man ja sibyllinisch hauchen: «...es ist nicht das Ende...». Jeder nickt verständnisvoll. «Das Leben geht weiter!» ist eine der plattesten Plattitüden, die immer dann auftauchen, wenn nichts mehr weitergeht, alles zu Ende ist und nur noch die Hoffnung auf ein Wunder bleibt. «Mögen alle deine Träume in Erfüllung gehen» erscheint mir persönlich zu gefährlich. Was ist, wenn derjenige gerade dabei ist, jemanden zu verwünschen: «Den könnte ich umbringen.»

Doch überzeugender als alle verbalen Bekundungen sind stumme Sprüche: Man verbannt jegliche Ironie, die sich in den Mundwinkeln versteckt haben könnte, legt das Gesicht sorgsam in Trauerfalten, blickt zunächst nach oben ins Ungefähre, schüttelt bedenklich den Kopf, senkt dann die Augen, lässt resigniert die Schultern hängen und konzentriert sich schliesslich auf das Eigentliche, den einen langen Seufzer, der Kummer, Schmerz, Enttäuschung, Wehmut, Sehnsucht und Verzweiflung zum Ausdruck bringen soll. Das war’s, und schon kann man sich wieder dem Lauf der Dinge widmen.

Gibt es denn nichts, um einem anderen zu zeigen, wie sehr man ihn wirklich versteht und mit ihm leidet, wenn es ihm nicht gut geht? Doch, es kann eine Geste sein, so unscheinbar, dass man sie leicht übersieht, ein wortloses Stöhnen, das man nur mit dem Herzen vernimmt. Wer so etwas auch nur einmal im Leben erlebt hat, darf sich glücklich schätzen und kann auf alle dummen Sprüche verzichten.
 


Barbara Egert, geprüfte Astrologin DAV, jahrzehntelange Astrologieerfahrung; Bücher: «Astro-logische Merkwürdigkeiten – Kolumnen» (2017, nur bei Amazon erhältlich), «Wenn die Kindheit Schatten wirft: Beziehungen, Hochsensibilität, Narzissmus» (2014), «Hochsensibilität im Horoskop» (2012), «Krisen im Horoskop erkennen» (2011), «Kindheitserfahrungen im Horoskop» (2009); ständige Mitarbeiterin von ASTROLOGIE HEUTE, E-Mail: Barbara Egert