Astro-logische Merk-Würdigkeiten
Diotima und andere Wunderlichkeiten
von Barbara Egert
Dass himmlische Ereignisse etwas mit irdischen Vorgängen zu tun haben könnten, begann man in jener prähistorischen Nacht im symbolträchtigen Département Dordogne zu ahnen, als das Gemälde des Mammuts endlich vollendet war. Der Maler setzte sich zu den anderen, die satt und zufrieden ins Feuer starrten, während nur Diotima schweigend aus der Höhle ins Freie trat, um, wie sie es schon so oft getan hatte, in den Nachthimmel zu schauen.
Sie suchte jene Konfiguration von sieben besonders hellen Sternen wiederzufinden, die erst viel später als Grosser Wagen bekannt wurde. Als zwei der Sterne, Merak und Dubhe – α und β Ursae Maioris – ihr freundlich zuzwinkerten, war sie verwirrt. Wie in Trance, und ohne zu wissen, warum, verlängerte sie den Abstand der beiden etwa fünffach nach Norden und entdeckte so den Polarstern, den hellsten Stern im Sternbild Kleiner Bär. Da er nahe dem Nordpol des Himmels steht, eignet er sich vorzüglich, den geografischen Norden zu finden.
Diotima interessierte sich allerdings weniger für den astronomischen Aspekt des Zwinkerns. Da sie bereits sechs Sonderbarkeiten in ihr Steintagebuch geritzt hatte, die Entdeckung des Polarsterns die siebte war, der Grosse Wagen sieben Sterne hatte, und all das kein Zufall sein konnte, sagte sie lediglich, als sie sich wieder zu den anderen setzte – von denen sie wusste, dass die sich nur für Reales, nicht aber für «nichtzufällige Zufälle» interessierten –, dass sie jetzt wisse, wo Norden sei. Ihr abschätziges «Wen interessiert das schon?» würde sie durch ihre nächsten 77 Inkarnationen begleiten, denn vom Jungpaläolithikum bis zu ihrer Wiedergeburt in Platons Symposion dauert es nun mal so lange. Doch es hat sich gelohnt.
Sie tritt dort als weise Frau aus dem arkadischen Mantineia nur indirekt in Erscheinung, nämlich als Sokrates während eines Gastmahls erzählt, wie er von ihr über Eros belehrt wurde – ein Konzept, das seit der Renaissance als «platonische Liebe» bezeichnet wird. Ein Konzept, das ebenso geeignet ist, das leidenschaftliche marsisch-venusische Erbe seiner Eltern zu beschönigen sowie auch auf die Sehnsucht nach dem Unendlichen zu verweisen.
Sokrates stellt sich Eros als schönen Sohn der Liebesgöttin Venus vor. Diotima weiss aber, dass er weder gut und schön, noch schlecht und hässlich ist, sondern ein Dämon, der zwischen Göttern und Menschen vermittelt, und nicht von der Venus abstammt, sondern von Penia, einer Bettlerin, und Poros, der als ebenso findig wie trinkfreudig gilt. Dieser Sohn des Mangels, barfuss und obdachlos, aber findig und schlau, versteht es, jeden zu verzaubern und zaubernd alle Türen zu öffnen – besonders die der Herzen.
Als Philosoph liebt Eros die Weisheit, entwendet jedoch Jargon und Begriffe den Büchern grosser Denker, um Zeit zu haben für die Liebe zur Welt und um Mozart zu lauschen, dessen DNA er bereits, Sequenz für Sequenz, entworfen hat. Dabei fügen sich die Bausteine der Schöpfung mühelos zusammen: Adenin, Guanin und Cytosin, doch das Thymin zögert eigenwillig und möchte zunächst nur eine der beiden Wasserstoffbrücken bilden. Tiefe Prozesse sind im Gange und formen Aussergewöhnliches.
Der menschliche Organismus kann Thymin zwar selbst synthetisieren, doch dieser Prozess ist energieaufwändig, sodass das Molekül oft wiederverwendet wird – wie auch grosse Genies ihre kreativen Ressourcen aus den tiefsten inneren Reserven schöpfen und dabei Altes auf überraschende Weise neu erschaffen. Ein «Thymin-Problem» konnte auch bei Ravel und Scarlatti, Debussy und Albeniz «nachgewiesen» werden. Leonardos DNA lässt Ähnliches vermuten, ebenso die von Lewis Carroll und Laurence Sterne. Für das astrologische Gedankengebäude bedeutet das, sich nicht von jedem weiteren, winzigen, uns umkreisenden Gesteinsbrocken beeindrucken zu lassen und zu hoffen, dass ausgerechnet er besonders deutungsfördernd sein wird. Vielmehr sollte man in sich selbst suchen, was man zu finden hofft, und dabei gegebenenfalls auch mit «DNA-Experten» kooperieren.
Das Spiegelgesetz «Wie oben, so unten – wie innen, so aussen» besagt, dass der astrologisch erfassbare makrokosmische Raum die mikrokosmische Doppelhelix widerspiegelt. Dieses Gesetz zu beherzigen und das Gedankenspiel der Analogie bis zu den Grenzen unseres unendlichen Universums – und darüber hinaus, bis zu den unbegrenzten Unendlichkeiten aller denk- und undenkbaren Paralleluniversen – auszuweiten, würde Hermes Trismegistos sehr erfreuen, der vom Merkur persönlich in das Geheimnis permanenter Analogie eingeweiht wurde.
Barbara Egert, geprüfte Astrologin DAV, jahrzehntelange Astrologieerfahrung; Bücher: «Astro-logische Merkwürdigkeiten – Kolumnen» (2017, nur bei Amazon erhältlich), «Wenn die Kindheit Schatten wirft: Beziehungen, Hochsensibilität, Narzissmus» (2014), «Hochsensibilität im Horoskop» (2012), «Krisen im Horoskop erkennen» (2011), «Kindheitserfahrungen im Horoskop» (2009); ständige Mitarbeiterin von ASTROLOGIE HEUTE, E-Mail: Barbara Egert