Astrologie Heute Nr. 235 (Juni 2025)
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Astrologie Heute Nr. 235
Juni 2025

Inhaltsverzeichnis
Heft Nr. 235 bestellen

Astro-logische Merk-Würdigkeiten

Auf der Suche nach der gestohlenen Zeit

von Barbara Egert

An manchen Tagen scheint man in einer endlosen Warteschleife gefangen. Der Laptop gleicht einer Schnecke, die Hotline vertröstet, der Arzt ist krank und der Friseur macht Urlaub. Doch was soll’s, ich bin mit meiner Enkelin im Café verabredet, und die kommt bestimmt – fragt sich nur, wann. Abwarten und Latte macchiato trinken. Ich warte also und nutze die Zeit, um über selbige nachzudenken.

«Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding», singt die Marschallin in Der Rosenkavalier, «wenn man so hinlebt, ist sie rein gar nichts, aber dann auf einmal, da spürt man nichts als sie.» Je älter man wird, desto kostbarer wird sie. Zwar sagt man, Zeit sei Geld, aber für kein Geld der Welt kann man sie, wenn es wirklich drauf ankommt, kaufen, verkaufen oder horten, um sie später zu nutzen. Es ist ein Gerücht, dass sich die Zeitreste in Wartezimmern einsammeln, aufbereiten und meistbietend versteigern liessen. Auf so eine Idee kann nur Merkur/Uranus kommen.

Wenn Sie jemanden suchen, der warten kann, durchforsten Sie Ihre Dateien nach eindeutigen, besser noch verborgenen plutonischen Merkmalen. Denn Pluto kann warten... auf den geeigneten Augenblick der Heimzahlung. Also Achtung: Nicht jeder, der warten kann, ist harmlos oder hat ein so sonniges Gemüt wie etwa die jupiterhafte Evi, die – zwei rechts, zwei links – dem Warten strickend etwas von seiner Sinnlosigkeit nimmt. Die meisten von uns empfinden Warten nämlich als Zumutung, als Kränkung. Wer uns warten lässt und unsere Geduld strapaziert, der stiehlt uns unsere Zeit, selbst wenn das nicht immer offensichtlich ist.

Man spürt die Wirkung des Wartens eher indirekt an wachsender Ungeduld, wenn man uns vertröstet, versetzt oder allzu umständlich etwas erklärt, wie jener Saturnier, der die Frage nach einer Strasse mit einem städtebaulichen Vortrag beantwortet. Aber er kann einem, trotz seiner uns weltfremd erscheinenden Prinzipien, durch seine Gründlichkeit dabei helfen, Zeit einzusparen – wie etwa bei einer Steuererklärung. Man sollte allerdings lernen, unauffällig zu gähnen, nicht dauernd auf die Uhr zu blicken und hin und wieder zu signalisieren, dass man durchaus noch in der Lage ist, zu verstehen, wovon er gerade redet. Und man sollte seine Langeweile verbergen, besonders, wenn man von Uranus bestimmt ist.

Apropos Uranus! Der hat es gerade nötig, sich über Saturns Umständlichkeit zu mokieren. So rasant, wie er Flüge und Ferienwohnungen bucht und storniert, tut es sonst keiner. Immer auf der Durchreise von Irgendwo nach Nirgendwo, in der Grauzone von Noch-nicht und Nicht-mehr, ist der Transitbereich sein eigentliches Zuhause. Auch wenn es ihm selbst sicher gar nicht bewusst ist – derart rigoros, wie er mit der Zeit anderer umgeht, tut sonst niemand: Er kommt und geht, wann er will.

Neptun denkt in ganz anderen Zeitdimensionen. Dem Anfang mag ja ein Zauber innewohnen, und Uranus hält er für geradezu süchtig nach diesem Zauber, aber ein viel grösserer Zauber sei doch in Begriffen wie «erfüllte Zeit» und «Ewigkeit» zu finden. Und Ewigkeit, nicht nur gedacht als Ort einer unbestimmten Sehnsucht, sehr, sehr fern von Hier und Heute, sondern in smogfreien Nächten, angesichts der unendlichen Weiten des Alls, durchaus erlebbar; auch als endlose Zeitspanne, die die Evolution brauchte, um aus einer unscheinbaren Mikrobe etwas so Nettes wie meine Enkelin zu erschaffen – die allerdings immer noch auf sich warten lässt.

Zerstreuung, auf welchem Niveau auch immer, dient der Entspannung. Verfällt man ihr, vergeudet man die Zeit, die man bräuchte, um etwas Sinnvolles zu tun. Besser, man freundet sich mit der Kunst des Wartens an – etwa, indem man über das Verrinnen der Zeit nachsinnt, wie ich es gerade versuche. Zugegeben, nichts für den Mars. Aber selbst der soll ja lernfähig sein, besonders wenn man ihm das Warten als Sieg schmackhaft macht.

Allerdings wird mein eigener Mars langsam nervös: Wo bleibt sie nur? Es wird doch nichts passiert sein? «Nein, nichts ist passiert, aber…», haucht sie ausser Atem, als sie endlich erscheint. Und dann folgt eine so abenteuerliche Geschichte, die, wenn sie nicht wahr sein sollte, auf jeden Fall gut erfunden ist. Wir trinken Kaffee, erzählen, und die Zeit vergeht wie im Flug – so sollte es sein. Und mir ist, als hätte es das Warten nie gegeben.


Barbara Egert, geprüfte Astrologin DAV, jahrzehntelange Astrologieerfahrung; Bücher: «Astro-logische Merkwürdigkeiten – Kolumnen» (2017, nur bei Amazon erhältlich), «Wenn die Kindheit Schatten wirft: Beziehungen, Hochsensibilität, Narzissmus» (2014), «Hochsensibilität im Horoskop» (2012), «Krisen im Horoskop erkennen» (2011), «Kindheitserfahrungen im Horoskop» (2009); ständige Mitarbeiterin von ASTROLOGIE HEUTE, E-Mail: Barbara Egert