Astro-logische Merk-Würdigkeiten
Der Dschinn...?
von Barbara Egert
Ich erklärte vor längerer Zeit einer Bekannten ihr Horoskop und zeigte als Beispiel für konzentrierte Herausforderungen oder Talente das Stellium in meinem Radix im Vergleich zu ihren gut verteilten Planeten; mein Potenzial sei also mit den Eigenschaften des zwölften Hauses und des Waage-Zeichens verbunden. Sie folgerte daraus, dass sie somit ganz viele Begabungen habe. Nun denn, ich vertiefte meine Erklärungen nicht weiter. Es ist doch gut, wenn man an etwas glaubt – vielleicht erfüllt es sich dann. Allerdings war diese Löwe-Sonne in Konjunktion mit Pluto im Quadrat zu Jupiter bereits über sechzig Jahre alt und ohne sichtbare Talente.
Es Leicht ist es nicht unter all den persönlichen Talenten und jenen, die jeder andere auch haben könnte, endlich etwas zu finden, das wirklich zu einem passt. Was entspricht einem so sehr, dass es zum persönlichen Lebensthema werden könnte? Der Wunsch, Professor für Jurisprudenz zu werden, ist wahrscheinlich eher ein Wunsch der Eltern. Früher wollte man Lokführer oder Stewardess werden; heute träumt man von einer Expedition zum Mars – aber mit Rückfahrtticket.
Selten ist es der Beruf, der dem Leben Sinn verleiht, es einzigartig und unverwechselbar macht. Vielmehr braucht es einen Traum, von dem man ahnt, dass er wirklich etwas mit einem zu tun hat und dem Dasein Sinn verleiht – und einen vielleicht zu einer Persönlichkeit macht. Manchmal reicht schon ein Detail, eine ungewöhnliche Frisur oder ein extravagantes Accessoire, um anzudeuten, dass jemand sein Leben anders als alle anderen leben will, wie man es bei Uranus/Wasserman häufig findet. Und nicht etwa, um aufzufallen (das bleibt den Löwen vorbehalten), sondern weil man seine Einzigartigkeit gespürt hat und sich konsequent aus der Zufälligkeit einer x-beliebigen Vita und einer schon im Elternhaus beginnenden Fremdbestimmung befreien will.
Ich erinnere mich noch gut an eine Zeit, als man sein astrologisches Profil noch nicht blitzschnell von einer Software berechnen lassen konnte, sondern per Hand und mit Vertrauen in die eigenen Rechenkünste. Meine waren zwar gering, aber so gering nun auch wieder nicht, sodass ich meinen Mann vom Löwe-AC in einen Krebs-AC zurückverwandelte. Ein paar Jahre hatte er an sich vorbeigelebt, weil die Berechnungen seiner Tante nicht stimmten. Ich holte ihn samt seinen eingebildeten Löwe-Eigenschaften zurück zu sich selbst – und zu mir, versteht sich.
Doch nicht jedem gelingt es, die Welt mit seinen eigenen Augen zu sehen. Im Gegenteil, mancher bemüht sich mit viel Elan, sie möglichst nur durch den Blick der anderen wahrzunehmen, dem man mehr traut als seinen eigenen Fähigkeiten. Warum? Vielleicht weil man Angst hat, sich allzu weit von den anderen zu entfernen. Man könnte sich ja in sich selbst verlieren. Eigentlich paradox: Da empfiehlt einem die Werbung, sein Leben zu leben, und hinterher fahren alle ähnliche Autos. Nur ganz Mutige zeigen sich in ihrer alten Karre, die auch schon bessere Zeiten gesehen hat.
Heute fotografiert jeder, aber nicht mehr mit teuren Kameras, sondern mit Smartphones. Und kaum einer sieht die Welt wie Henri Cartier-Bresson, Helmut Newton oder Peter Lindbergh. Die Welt neu zu sehen und anderen zu zeigen, wie man sie sieht – das ist nicht der Beginn der Kunst, sondern die natürlichste Sache der Welt.
Jedes Bild hat viele Deutungsebenen. Die für jeden offensichtliche Bedeutung eines niederländischen Vanitas-Stilllebens mit Früchten, an denen die Maden sich laben, ist natürlich: Seht her, so wird es euch, nein, uns allen, auch ergehen. Memento mori: Verfallt nicht dem Wahn, alles würde für immer so bleiben. Das ist das eine. Was aber der Maler uns auch noch sagen will, hört sich ganz anders an, nämlich: Habt ihr je ein so wunderbar gemaltes Vanitas-Bild gesehen? Sind euch die Fliegen aufgefallen? Den einen ekelt’s, der andere kann sich gar nicht sattsehen. Nie ist es nur das Was, immer auch das Wie.
Astrologisch lässt sich eine Begabung leicht erkennen. Die eigentliche Frage ist, ob und wie sie gelebt oder gar nicht wahrgenommen und ignoriert wird. Der gleiche Neptun, der sich am Wein berauscht, kann zu ganz anderen Arten des Berauschtseins konvertieren. Spiritualität statt Spirituosen. Der Geist in der Flasche – der Dschinn, dieser Wunscherfüller, dem man nachsagt, es fehle ihm jede Individualität. Der Dschinn aber ist die fehlende Individualität!
Barbara Egert, geprüfte Astrologin DAV, jahrzehntelange Astrologieerfahrung; Bücher: «Astro-logische Merkwürdigkeiten – Kolumnen» (2017, nur bei Amazon erhältlich), «Wenn die Kindheit Schatten wirft: Beziehungen, Hochsensibilität, Narzissmus» (2014), «Hochsensibilität im Horoskop» (2012), «Krisen im Horoskop erkennen» (2011), «Kindheitserfahrungen im Horoskop» (2009); ständige Mitarbeiterin von ASTROLOGIE HEUTE, E-Mail: Barbara Egert