Astro-logische Merk-Würdigkeiten
Auf der Suche nach dem idealen Termin
von Barbara Egert
Nachdem ich durch astrologische Verrenkungen endlich den Tag gefunden habe, der für einen Arzttermin optimal ist, sitze ich nun vor ihm. Nach seinem obligatorischen: «Was kann ich für Sie tun?» oder «Wie geht es uns denn heute?» blickt er mir tief wissend in die Augen, lächelt und sagt: «Ich weiss genau, Sie werden gesund.» Sitzung beendet! Und siehe da, er hat sich nicht geirrt, und mir geht es seither besser denn je. Aber darf er überhaupt tun, was er tut, nämlich seine Diagnose auf einen «Augen-Blick» reduzieren?
Es gibt ja eine astrologische Selbstverpflichtung, nämlich die, jeden Ratsuchenden vor selbsterfüllenden Prophezeiungen zu beschützen. Also gilt es, sich nicht zu einer detaillierten Prognose über eine mögliche Zukunft hinreissen zu lassen, da solch eine Prognose einen entscheidenden Einfluss hat, ja die wesentliche Ursache dafür sein könnte, dass diese Zukunft auch eintritt. Und was, frage ich mich, wenn sie wirken würde wie der «Augen-Blick» meines Arztes? Man ahnt den Konflikt: Von allen Tagen des Wonnemonats Mai, die einem gefahrlos erscheinen, hat sich die mich konsultierende Braut ausgerechnet jenen ausgesucht, an dem jedem Astrologen eine mittlere Katastrophe unvermeidlich erscheinen würde – wie etwa Uranus im siebten Haus Opposition Mond und Saturn, dazu Saturn Quadrat Venus und Sonne. Was also tun?
Mein genialer Arzt war überzeugt, dass sein: «Ich weiss genau, Sie werden gesund» wie ein Placebo-Effekt wirken würde. Sein Risiko war, dass, wenn sein Placebo wirkungslos geblieben wäre, er mich als Patienten verloren hätte. Was würde passieren, wenn ich durch einen Nocebo-Effekt – also durch mein Zögern und Zaudern – der Braut signalisierte, ich hielte den betreffenden Termin nicht gerade für die allerbeste Wahl? Schlimmer noch wäre, wenn mir «zufällig» jene Tragikomödie von Woody Allen in den Sinn käme, und ich gedankenverloren vor mich hinmurmelte: «Ich sehe den Mann deiner Träume.» Die arme Braut: Erst platzt die Hochzeit, und dann meint sie noch, ich sähe einen viel idealeren Gatten für sie voraus.
Was tun, wenn ein Arzt aber sieht, wie der dunkle Schatten seiner Vermutung grösser wird? Ingeborg Bachmann meinte ja, dass die Wahrheit dem Menschen zumutbar sei – aber vielleicht wollte sie sich ja nur selbst Mut machen. Wem das nicht gelingt, der sucht Rat und möchte verstehen. Solange es ihm noch selbst gelingt, an die Interaktion von Körper und Seele zu glauben, und Ärzte (im ursprünglichen Sinn: «Medizinmänner»), Astrologen und andere Schamanen ihn darin bestärken, ist nichts, aber auch gar nichts verloren. Geisterbeschwörer sind ja alle, die – mit welchem Placebo auch immer – sich bemühen, Gleichgewichte wiederherzustellen.
Seelische Balance ist das Zauberwort, wichtiger als jede Suche nach dem absolut richtigen Tag. Und welche Faktoren sie begünstigen oder behindern, das sieht jeder Astrologe, der aufmerksam, sensibel und seiner Deutungskunst vertrauend ein Horoskop unter die Lupe nimmt. Kein «Ich weiss genau, Sie werden gesund» und dann ist die Sitzung beendet, sondern ein Dialog über das Werden und Vergehen, das Ja und Nein, den ewigen Wechsel in und um einen herum.
Und die arme «Braut, die sich nicht traut», den Mai-Termin in Frage zu stellen – und ihren Gatten vielleicht gleich mit! Was wird nur aus ihr? Ich glaube, ich werde versuchen, ihren Uranus und Mars anzufeuern, ihre Venus zu aktivieren und sie besonders vor den Trugbildern Neptuns zu warnen, die ihr von Brautkleidern vorschwärmen und von einem glücklichen Mai voller Sonne und blühenden Bäumen...
Moment mal, was mache ich da? Gilt nicht auch für mich die Verpflichtung des Schweigens? So ist es! Nur ich selbst ertrage die Katastrophenprognosen, die ich keinem anderen zumuten würde. Und manchmal treten sie auch noch ein – wie soll man da zuversichtlich in die Zukunft schauen? Und manchmal treten sie nicht ein, und man kann zuversichtlich in die Zukunft schauen. Am besten wäre es, die Astro-Software zu deinstallieren, alle astrologischen «Dokumente» – wie ausgedruckte Solare, Sonnenbogenberechnungen, Progressionen und ähnlichen Papierkram – zu entsorgen und, frei von dem Versuch, die Zukunft zu kontrollieren, einfach das Leben zu leben, wie es eben ist. Bleibt nur noch das Radix zurück, und die Aufgabe, sich darin wiederzufinden und das Beste aus sich zu machen – damit hat man lebenslänglich genug zu tun.
Die Suche nach dem idealen Termin gestaltet sich nun ganz einfach: keine Ephemeriden, kein Rechnen und Berechnen, sondern beim Arzt anrufen und einen Termin ausmachen. Ob er an dem Tag dann aber sagt: «Ich sehe, Sie werden gesund!»?
Barbara Egert, geprüfte Astrologin DAV, jahrzehntelange Astrologieerfahrung; Bücher: «Astro-logische Merkwürdigkeiten – Kolumnen» (2017, nur bei Amazon erhältlich), «Wenn die Kindheit Schatten wirft: Beziehungen, Hochsensibilität, Narzissmus» (2014), «Hochsensibilität im Horoskop» (2012), «Krisen im Horoskop erkennen» (2011), «Kindheitserfahrungen im Horoskop» (2009); ständige Mitarbeiterin von ASTROLOGIE HEUTE, E-Mail: Barbara Egert