Astrologie Heute Nr. 118 (Dezember 2005)
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Astrologie Heute Nr. 118
Dezember 2005

Inhaltsverzeichnis
Heft Nr. 118 bestellen
Astro-logische Merk-Würdigkeiten
Der letzte Vor-gesetzte
 
von Barbara Egert 
 

  
Auf der digitalen Anzeige meines Telefons erscheint die Handynummer meines Chefs … ich stöhne schon, bevor ich abhebe. Er ruft vom Flughafen an, um mir mitzuteilen, dass ich in seinen Reiseplan bei der Lufthansa-Flugnummer 189 statt 198 geschrieben habe. Ich frage ihn ironisch, ob er denn trotzdem habe einchecken können. Nach Ankunft auf dem Zielflughafen meldet er sich schon wieder: aus seinem Mietwagen, der – na, so etwas! – keine Klimaanlage habe (nörgel, nörgel). Ich sage, dass ich einen Wagen mit Klimaanlage bestellt habe und ob er denn «die Hitze» nicht aushalten könne. – Es ist ein kühler Sommertag in ganz Deutschland.

Nach dem professoralen Chaotencharme seines Vorgängers ist dieser Vorgesetzte wie eine kalte Dusche – nur nicht so erfrischend. Schade, wenn man von dem Menschen, mit dem man täglich umgehen muss, keine genaue Geburtszeit hat. Aber dieser Professor ist ein rationaler Zwillinge-Geborener, sodass sich eine diesbezügliche Frage erübrigt. Es übersteigt sein pragmatisches Vorstellungsvermögen, dass seine Sekretärin eine solch obskure Neigung haben könnte. Mein anfänglicher Optimismus, dass seine vielen Planeten in Luft-Zeichen sich ja eigentlich gut mit meinen Waage-Planeten vertragen müssten, erwies sich schlichtweg als falsch.

Ein ausgeprägter Zwilling also – aber doch so anders, als ich mir diesen vorstelle. Zwar verfasst er mit Hilfe seines Zwillinge-Herrschers Merkur endlose intelligente Schriftstücke, telefoniert gerne und lange, kontaktiert alle für seine Aufgaben nur annähernd wichtigen Menschen (Politiker aller Couleur, Abgeordnete, EU-Parlamentarier etc.), die ihn sicher auch zu schätzen wissen, da er auf diversen Fachgebieten eine Koryphäe ist, aber ansonsten verharrt er in einer unergründlichen Bewegungslosigkeit (wenn er nicht gerade auf einer seiner vielen Reisen ist) hinter seinem Schreibtisch; vielleicht verschanzt er sich dort? Sein konservativer Autoritätsanspruch (Mars/ Pluto-Konjunktion und Jupiter in Löwe) und seine undurchschaubare Distanziertheit (Wassermann-Mond) kommen selten ins Wanken, es sei denn, mein unkonventioneller Uranus, gradgenau in Konjunktion zu seiner Zwillinge-Venus, irritiert und verunsichert ihn. Solch einen reservierten, unpersönlichen Chef habe ich noch nicht erlebt, der sofort auf Distanz geht, wenn ich ihm verbal «zu nahe» komme. Meine harmlose Frage etwa, ob er «Apfeltag» habe, als ich ihn immer nur Äpfel kauen sehe, beantwortet er mit einem abweisenden Blick.

Bei meinen bisherigen Erfahrungen mit dem Zeichen Zwillinge habe ich zwar Ironie, selten aber Kritiksucht festgestellt, doch hier werde ich eines Besseren belehrt: Er wartet offensichtlich nur darauf, dass etwas nicht perfekt läuft, um dann wie ein Oberlehrer mit erhobenem Finger auf die vermeintliche Schwachstelle hinzuweisen. Da er nur ein Jahr älter ist als ich, mutet sein autoritäres Gehabe doch etwas sehr merkwürdig an. Einmal liess er durchblicken, wie gut ich es doch mit ihm als Chef habe – und er meinte das tatsächlich ernst. Es ist schon erheiternd, wie weit Selbstbild und Fremdbild auseinanderdriften können.

Infos über gute Gespräche mit «seinem alten Freund Stolpe» oder «seiner langjährigen Vertrauten Angie Merkel» werden in Windeseile per E-Mail «nach oben» geschickt, und ich kann sicher sein, dass er wenigstens an den Tagen, wenn eine positive Resonanz von dorther kommt, guter Laune ist. Dass ich kein «Angie»-Fan bin und ihn mit kleinen, feinen Sticheleien scherzhaft aus der Reserve locken will, quittiert er mit humorlosem Unverständnis.

Ein Löwe-AC (also mit einem Wassermann-DC) wäre bei ihm gut vorstellbar, da seine Frau eine Sonne/Uranus-Konjunktion hat. Auftritte in der Öffentlichkeit, bei denen er im Mittelpunkt steht und sich mit seinem Wissen darstellen kann (Kombination Zwillinge und Löwe), bedeuten für ihn die Würze aller Ereignisse. Zu gerne würde ich mich mit ihm einmal über die Auswirkungen von defizitären Erfahrungen in der Kindheit unterhalten, insbesondere über narzisstische Störungen … aber ich glaube, dann müsste ich sofort meinen Schreibtisch räumen (was nicht die schlechteste Vorstellung ist).

Letztens rief er mich zu sich und erklärte mir bedeutungsvoll, ich möge doch bitte (endlich) dafür sorgen, dass seine Flaschen unterm Schreibtisch verschwinden. Was für Flaschen? Nun, wenn er bis spät nachts arbeitet, holt er sich aus der Küche Saft- und Seltersflaschen, die er dann aber nicht sichtbar abstellen, geschweige denn in die Küche zurückbringen kann. Ich möge diese doch, sagte er mir, regelmässig entsorgen … Womit habe ich das verdient!?, frage ich mich und tröste mich zugleich, dass es nur noch fünf Monate sind, bis ich den letzten aller Vor-gesetzten geschafft habe – und nicht er mich.