Astrologie Heute Nr. 220 (Dezember 2022)
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Astrologie Heute Nr. 220
Dezember 2022

Inhaltsverzeichnis
Heft Nr. 220 bestellen

Astro-logische Merk-Würdigkeiten

Merkur auf Vokalsuche

von Barbara Egert

Wer über Spanien nach Portugal einreist, den trifft es besonders hart: Vokale sind nicht gern gesehene Gäste. Eben noch feiern Granada, Malaga und Salamanca ihr strahlendes A, Barcelona, Toledo und Bilbao ihr A, E, O, Madrid und Ibiza ihr glitzerndes I. Und dann die Grenze, Einfuhr von Vokalen verboten, und schon ist man mittendrin im Labyrinth der Konsonanten. Kommt man aus Rom, ist es noch schlimmer. Eben noch Amore, wenig Merkur, viel Venus und Pluto! Und nun nur noch M und R, der Rest wird konfisziert, und der Merkur ist einer Ohnmacht nahe.

Wenn man zum schönen Strand von Carcavelos will, sollte man nach «Crcvls» fragen oder sich lieber auf seinen Instinkt verlassen. Fragt man hier jemanden nach dem Weg und bittet mit wringenden Händen um eine etwas deutlichere Antwort als die, die einem soeben von einem anderen überaus wohlmeinenden Portugiesen überreicht wurde, die man aber nicht entschlüsseln konnte, dann ist der Befragte so freundlich wie sonst nur selten jemand auf der Welt, um ganz langsam zu beschreiben: «Rechts in diese Strasse, links in jene Gasse, geradeaus über den grossen Platz.» Der Merkur ruft Saturn zur Hilfe, der ganz konzentriert zuhört, aber dann schaut auch er ratlos in die Runde, auch wenn alles noch mal ganz laut wiederholt wird. Eine nette Passantin bleibt stehen und erklärt auf ihre vokalfreie Art, wie man am schnellsten von B zu Z kommt. So kann man wenigstens genau beobachten, wie jeder seine spezielle Vokalvermeidung betreibt. Heaven help! Oh, meu Deus!

Im Allgemeinen hat jede Silbe als Kern einen Laut, dessen Sonorität die aller seiner Nachbarlaute übertrifft. Die «Sch»-Laute sind leichter zu erklären, denn – das ist doch klar – sie sind eine Referenz an das Rauschen des Atlantiks. Am Wortende wird das S zum Sch, und das I wird verschluckt. Man kann es beobachten: Es sind die Luftdruckwellen, die aus Mund und Nase ausgestossen werden. Der Atemluftstrom wird so verengt, dass Reibegeräusche entstehen, einem Zischen gleich. Die Luft entweicht an den Zungenseiten. Alles, was mit Konsonanten zu tun hat, wird äusserst präzise formuliert. Portugiesisch ist nicht nur eine vokalfreie Sprache, sondern eine, in der es an allen Ecken und Enden zischt.

Im Allgemeinen ist das so. Wir aber lebten hier nicht im Allgemeinen. Keine Wettervorhersage trifft hier zu. Es ist der Atlantik. Der macht das sehr Spezielle. Und die Nasallaute sind besonders speziell. Ein Schnupfen erleichtert die Aussprache, aber man muss trotzdem wissen, dass es sich bei den nasalierten Vokalen, wenn sie überhaupt nicht ganz verschluckt worden sind, zwar um zwei Buchstaben handelt, die sich aber zu einem einzigen Nasallaut verdichten. Und dann gibt es natürlich noch den Wegfall von nasalen Einzelkonsonanten. Der Zwischenraum zwischen dem, was man ist und dem, was man nicht ist, ist der Raum der Vokale, ohne die wir eigentlich undenkbar sind. Und dennoch, sagt der Mars, das Leben geht, hier zumindest, auch ohne weiter. Und wie? «Erzählt nicht der Fado, warum auf das Glück kein Verlass ist?», fragt Amália Rodrigues. Neptun stimmt ihr zu. Wer sonst begreift das Gefühl des Unwiederbringlichen? Saturn kennt sich aus in der portugiesischen Kolonialgeschichte: A und O blieben in Angola und São Tomé, Brasilien und Mosambik behielten das I.

Nichts ist für immer verloren, es zieht sich nur zurück in seine ureigene Sphäre. Wer alles gehabt hat, schleicht sich aus der Weltgeschichte heraus, zieht sich zurück in sein ureigenes Wesen. Introvertierte finden endlich, was sie ein Leben lang suchten, sich selbst. Keiner schwadroniert mehr, keiner belügt sich mehr über den Ruhm dieser Welt. Wer viel erobert und das Eroberte wieder verloren hat, dessen Lebensgefühl ist für immer verändert. Die grossen Zeiten sind aus und vorbei, das macht weise und traurig zugleich. Carlos do Carmo, Mariza, Camané, und Ana Moura erzählen uns davon. Lauschen wir ihnen, auch wenn es manchmal etwas zischt, bis die Vokale im Funkeln der Sterne wieder auferstehen.


Barbara Egert, geprüfte Astrologin DAV, jahrzehntelange Astrologieerfahrung; Bücher: «Astro-logische Merkwürdigkeiten – Kolumnen» (2017, nur bei Amazon erhältlich), «Wenn die Kindheit Schatten wirft: Beziehungen, Hochsensibilität, Narzissmus» (2014), «Hochsensibilität im Horoskop» (2012), «Krisen im Horoskop erkennen» (2011), «Kindheitserfahrungen im Horoskop» (2009); ständige Mitarbeiterin von ASTROLOGIE HEUTE, E-Mail: Barbara Egert